Ketchuprote Wolken
glauben.
Ich zog eine Schulter hoch, konnte nicht widerstehen. »Ja, warum nicht?« Er küsste mich wieder, sanfter diesmal, aber ich löste mich von ihm. »Ich komme zu spät.« Max stöhnte und nahm mich an der Hand. Ich sah plötzlich meine Mum im Auto vor mir. »Du musst mich nicht zum Parkplatz bringen oder so. Wirklich.«
»Macht mir nichts aus. Ich geh ja jetzt auch.«
Ich ließ seine Hand los. »Dann geh schon mal vor. Meine Mum …«
»Rastet leicht aus? Das liegt wohl in der Familie …« Max grinste, als ich ihn mit dem Ellbogen boxte. Wir gingen einen Teil des Wegs zusammen und blieben dann hinter einem Baum stehen. Max schaute zum Parkplatz. »Wenn du morgen nichts von mir hörst, ruf im Krankenhaus an. Mein Bruder nimmt mich mit. Hat erst vor ein paar Wochen den Führerschein gemacht. Hat’s natürlich auf Anhieb geschafft. Ich glaub nicht, dass der bisher in seinem Leben irgendwas vermasselt hat. Aber das heißt nicht, dass er ein guter Fahrer ist. Ganz im Ernst: Sag deiner Mum, sie soll vorsichtig fahren.«
Ich lächelte, als er loslief, an Mums Mini vorbeisprintete, einen Jeep links liegen ließ und direkt auf den Wagen unter der Laterne zusteuerte.
Ein altes blaues Auto mit beschlagenen Scheiben.
Ich beugte mich vor, und mir blieb fast das Herz stehen, als Max die Heckklappe öffnete und sich hinter Aaron setzte.
Sie kennen doch bestimmt das komische Wort »verdattert«, Mr Harris. Und genau das war ich, als ich zu Mums Auto lief. Vollkommen verdattert. Auch noch zu Hause. Da machte ich mir erst mal einen Becher Tee, der viel zu stark wurde, weil ich ewig den Teebeutel ins Wasser tunkte, während ich zu kapieren versuchte, was eigentlich Sache war. Brüder. Brüder . Ich hätte es vielleicht ahnen müssen. Es gab ein paar Ähnlichkeiten zwischen den beiden, und Aaron war auf Max’ Party gewesen, obwohl er ein paar Jahre älter war als wir. Aber trotzdem hätte man nicht so leicht darauf kommen können.
Dampf stieg aus dem Becher auf, während ich ins Wohnzimmer ging und mich auf den Boden hockte. Ich trank den Tee und dachte darüber nach, ob die beiden Brüder sich wohl mochten und ob sie jetzt vielleicht gerade zu Hause in der Küche standen und sich ein Sandwich machten. Dann überlegte ich, wer welchen Belag wählen würde, ob Max Schinken und Aaron Käse nehmen würde und das rothaarige Mädchen vielleicht Tunfisch, obwohl ihr Atem dann nach Fisch riechen würde. Ich wäre gerne eine Fliege an der Wand gewesen, um das mitzuerleben.
Ulkigerweise hockt hier im Schuppen wirklich gerade eine Fliege an der Wand. Nun ja, nicht direkt an der Wand. Eine kleine schwarze Fliege hat sich nämlich in dem Spinnennetz am Fenster verfangen, sitzt fest und starrt zum Fenster raus, während sie sich wahrscheinlich gerade fragt, was um alles in der Welt aus ihrer Freiheit geworden ist. Bei Sonnenaufgang wird die Spinne die Fliege vermutlich bereits verspeist haben. Wenn ich mir den Himmel so anschaue, wird es bald hell werden, und ich sollte wohl lieber ins Haus gehen, bevor Mum aufsteht. Nachdem jetzt die Uhr umgestellt wurde, wird es eine Stunde früher hell, und das ist für Sie doch bestimmt auch tröstlich, Stuart. Zu Abend essen müssen Sie im Dunkeln, aber frühstücken können Sie im Sonnenlicht, und ich hoffe, es fühlt sich angenehm warm an auf Ihrer Haut.
Viele Grüße
Zoe
1 Fiction Road
Bath
14. November
Hallo, Stuart,
bitte denk jetzt nicht schlecht von mir, ich konnte nämlich nichts dafür und hätte niemals eingewilligt, wenn Mum nicht irgendwie argwöhnisch geworden wäre. Als ich aus der Schule nach Hause kam, war sie am Telefon. Frag mich nicht, woher ich wusste, dass sie mit Sandra sprach. Ich wusste es einfach, und sie machte ständig »aha, mhm, ja, ja«, und dann legte sie auf und sagte mir, wir würden auf einen Kaffee zu ihr fahren.
Ich versuchte natürlich, das zu verhindern.
»Ich mag keinen Kaffee!«
»Was ist denn so schlimm daran?«, fragte Mum und betrachtete mich mit verengten Augen so prüfend, als durchforsche sie mein Hirn mit einem Suchscheinwerfer. »Es hilft dir vielleicht, sie zu sehen. Und ich weiß, dass es ihr guttun würde. Du magst sie doch, oder nicht?«
»Ja. Aber … ich … ich hab Halsweh, deshalb …« Mum stopfte mir Schmerztabletten in den Mund und schob mich aus dem Haus. Eine Viertelstunde später saß ich zum ersten Mal seit dem Begräbnis in Sandras kleinem Wintergarten.
»Bist du viel unterwegs?«, fragte Mum.
»Manchmal«,
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