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Ketchuprote Wolken

Ketchuprote Wolken

Titel: Ketchuprote Wolken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annabel Pitcher
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antwortete Sandra. »Ab und zu.« Dad hatte nicht übertrieben, was ihr Gewicht anging. Eingefallene Wangen, spitze Schultern, dünne Arme. Auch ihre Haare sahen anders aus. Früher waren sie schwarz mit mahagonifarbenen Strähnchen gewesen, stufig geschnitten, aber jetzt waren Farbe und Schnitt herausgewachsen. »Ich versuche mich zu beschäftigen.«
    »Das ist richtig so«, sagte Mum. »Geht nicht anders. Du musst etwas mit deiner Zeit anfangen.«
    »Mir war nie bewusst, dass ich so viel davon habe«, murmelte Sandra. »So viele Stunden. Und ich spüre jede einzelne Minute.«
    Die Sonne kam heraus und schien auf den Brunnen im Garten. Plötzlich sah ich vor mir, wie Max’ Finger die Flügel des toten Falters berührte. Ich blinzelte wie wild, um das Bild loszuwerden, aber es kam wieder, und dann schaute Aaron zu dem Käuzchen hoch, und dann war Max’ Hand auf meinem Schenkel, und dann erkundete Aaron meine Haut, meine Lippen, die Rundungen meines Körpers, und mein Puls raste, und mir wurde übel, und ich begann fast zu würgen, als Sandra fragte: »Und wie geht es dir, Zoe?« Ich wagte nicht zu sprechen.
    »Ganz schlimm«, antwortete Mum. »Ihre Schulleistungen lassen auch sehr nach.«
    »Na ja, die beiden waren sich sehr nah, nicht wahr?«, erwiderte Sandra, und das war eine dieser rhetorischen Fragen, Stuart, die man nicht beantworten muss. »Und wenn das alles schlagartig weg ist …« Ich stand abrupt auf.
    »Alles okay, Zo?«, fragte Mum. Hier drin war es mir plötzlich viel zu eng, meine Hände kribbelten, und meine Schulkrawatte saß zu fest. Ich zog und zerrte, aber der Knoten wurde nicht lockerer. »Wir sollten lieber aufbrechen«, sagte Mum rasch. »Es geht ihr nicht gut. Und meine beiden anderen Mädchen hab ich bei einer Nachbarin gelassen. Danke für den Kaffee.«
    Sandra stand auf. Sie sah so besorgt aus, dass es regelrecht schmerzte, weshalb ich durchs Glasdach zum Himmel aufschaute. Sandra zog meinen Kopf an ihre Schulter.
    »Ich weiß, wie dir zumute ist«, sagte sie und drückte mich fest. »Ich weiß es genau. Du bist hier jederzeit willkommen.« Sie schob mich sacht weg und legte mir die Hand an die Wange. »Wir können uns gegenseitig helfen.« Ich ballte die Fäuste und biss die Zähne zusammen. Und gerade als ich sicher war, dass ich ihre Zuwendung keinen Moment länger ertragen könnte, verschwand die Hand, und Sandra schlurfte in ihren alten Pantoffeln, die an den Nähten schon ausgefranst waren, Richtung Haustür. Unterwegs blieb sie stehen und deutete auf ein Foto an der Wand. »Kennt ihr das?«
    Ein Silberrahmen.
    Ich in einem blauen Kleid mit erhitztem Gesicht.
    Zwischen Max und Aaron, die beide lächelten. Beim Frühlingsfest.
    Im Hintergrund die bunten Lichter des Autoscooter. Qualmwolken von Hot-Dog-Ständen in der Luft. In der Ecke des Fotos stand: 1. Mai.
    »Ist das …?«, begann Mum.
    »Das letzte Foto von ihm, ja.« Mir wich das Blut aus den Wangen. Ich spürte richtig, wie es mir den Hals hinunterlief, als zerrinne rosa Schminke in kaltem Wasser. »Es ist mein Lieblingsfoto«, sagte Sandra. »Er sieht so glücklich aus. Ihr alle drei.« Sie strich mit dem Daumen über unsere Gesichter, und das war der Moment, Stuart, in dem ich rausrannte und neben dem Baum auf den Boden kotzte.
    Viele Grüße
Zoe

1 Fiction Road
Bath
    29. November
    Hallo, Stuart,
    hier knallen Hagelkörner aufs Dach, und falls ihr solches Wetter in Texas nicht habt, dann stell dir vor, dass der Himmel seinen Gefrierschrank ausräumt. Die Spinne fragt sich bestimmt auch, was um alles in der Welt hier vor sich geht. Sie hat kohlrabenschwarze Beine und hängt in der Mitte des leeren Netzes, und ich habe das seltsame Gefühl, dass sie mich anstarrt. Wahrscheinlich, weil ich so komisch aussehe. Lila Mütze und Schal zu meinem Morgenmantel und an den Füßen Mums Wanderstiefel. Das habe ich alles hier gefunden, vermutlich, weil Dot sich im Schuppen versteckt und Forscher gespielt hat oder so. Als Decke habe ich mir Dads Jacke über die Beine gelegt. Ich fühle mich sicher hier, geschützt vor Wind und Wetter und der verschwindenden Hand und Sandras Schreien, von denen ich heute Nacht zum ersten Mal geträumt habe.
    Ich würde alles tun, um vergessen zu können. Die Spinne essen oder mich nackt aufs Dach des Schuppens stellen oder für den Rest meines Lebens haufenweise Matheaufgaben lösen. Wenn ich damit nur alles aus meinem Gehirn löschen könnte, so wie man das bei Computern machen kann. Mit einem Tastendruck

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