Ketchuprote Wolken
flüssig machen«, fügte ich hinzu und nickte wissend.
»Ja«, sagte Dad beeindruckt. »Ganz genau. Oder deine Mum könnte sich Arbeit suchen.« Er sagte das ganz beiläufig und legte dabei ein Würstchen auf ihren Teller. Mums grüne Augen wurden so groß, dass man das gesamte Weiß sehen konnte.
»Unter keinen Umständen!«
»Aber …«
»Unter keinen Umständen«, wiederholte Mum. »Meine Arbeit ist hier. Zu Hause. Bei den Mädchen. Du hast deinen Job verloren. Und du suchst dir auch einen neuen.«
Dad starrte Mum an. Mum funkelte Dad an. Soph und ich warfen uns einen Blick zu. Nur Dot aß weiter und hob sich dabei das grinsende Würstchen bis zuletzt auf. Dann nahm sie es in die Hand, hielt es sich vors Gesicht, winkte feierlich zum Abschied und biss ihm den Kopf ab.
Max rief nicht nach dem Mittagessen an und auch nicht, als ich abends im Bad war. Danach lümmelte ich im Schlafanzug in meinem Zimmer herum und versuchte ziemlich erfolglos, auf dem Boden meine Französisch-Hausaufgaben zu machen. Ich stupste mein Handy an, um zu checken, ob es noch ging. In diesem Moment piepte es, und ich quietschte vor Freude.
Eine SMS!
Ich rollte mich auf den Rücken und lag auf den ganzen französischen Verben, die ich für die nächste Arbeit lernen musste. Leben. Lieben. Lachen. Sterben.
Morgen nach der Schule bei mir?
Es war unglaublich. Nicht zu fassen. Ich blinzelte heftig, dann las ich die Nachricht noch einmal. Ja. Kein Zweifel. Eine Einladung zu Max Morgan nach Hause. Nur für mich ganz allein. Mir war danach, das Handy aus dem Fenster zu halten und Max’ Nachricht an den Himmel zu schreiben. Stattdessen starrte ich auf den Lampenschirm und überlegte, was ich antworten sollte. Ich meine, versteh mich nicht falsch, Stuart, ich musste natürlich ablehnen. Ging nicht anders. Mum würde mich niemals zu einem Jungen nach Hause gehen lassen, im ganzen Leben nicht. Aber wie sollte ich das formulieren? Du hältst mich jetzt vielleicht für berechnend, Stuart, aber ich wollte nicht, dass Max das Interesse an mir verlor, auch wenn sein Bruder mir besser gefiel.
Ich gab etwas ein. Löschte es. Fing noch mal von vorn an. Löschte das auch wieder. Dann riss ich eine leere Seite aus meinem Französischheft heraus, und nach zehn Minuten Herumprobieren hatte ich einen Text, mit dem ich zufrieden war. Außerdem hatte ich siebzehn verschiedene Unterschriften hingekritzelt und ein Bild von einem Hasen mit riesigen Nagezähnen, was so ziemlich das Einzige ist, was ich richtig zeichnen kann.
Die Nachricht lautete, dass ich keine Zeit hätte, ihn aber gerne ein andermal treffen würde. Kurz bevor mein Daumen die Sendetaste berührte, schlug die Standuhr neun.
»Dad! Dad? Top Gear fängt an.« Keine Antwort. »Dad?«, rief ich noch mal, dann legte ich das Handy beiseite und ging in den Flur. Durch den Spalt an der Tür zum Arbeitszimmer sah ich Licht. Ich drehte den Knauf. » Top Gear fängt jetzt …« Dad starrte ausdruckslos auf den Bildschirmschoner auf seinem Monitor. Auf dem Tisch lag ein Ordner, aufgeschlagen bei einer Seite mit Dads Handschrift. Holdsworth & Son. Mansons. Leighton West. Eine Liste mit ungefähr zwanzig Kanzleinamen. Neben der Hälfte hatte er ein Kreuz gemacht.
» Top Gear fängt gleich an«, sagte ich und rüttelte Dad am Arm.
Dad gähnte und streckte sich. »Nimm es bitte auf, Zoe. Ich schau es mir später an. Ich bin hier grade beschäftigt.«
Ich dachte, er meinte seine Arbeit, aber als er die Maus bewegte, erschien ein Foto von einem Paar auf dem Bildschirm. In einem verrauchten Raum voller Menschen sprang eine junge Frau in die Arme eines Mannes. Sie hatte ein Bein an seine Taille gelegt, der Fuß des anderen Beins wies zur Decke. Ihr Kopf fiel in den Nacken, und ihre braunen Haare, die meinen ähnelten, streiften die glänzenden Schuhe des Mannes. Er lachte mit weit offenem Mund und beugte die Frau mit kräftigen Armen zum Boden.
»Großvater«, sagte Dad. »Und Großmutter. Da sind sie noch so …«
»Jung«, murmelte ich, weil ich wusste, dass er das sagen wollte.
Es lag gar nicht daran, dass ihre Gesichter noch nicht runzlig waren, Stuart. Ich kann das schwer beschreiben, aber es lag an der Stimmung des Bildes. An der Energie. An den Schweißtropfen auf Großvaters Stirn. An der Art, wie meine Großmutter sich nach hinten neigte. Sie tanzten nicht nur. Sie lebten. Sie waren lebendig. Als wollten sie jeden Moment so intensiv erleben, dass nicht eine Sekunde davon verloren ging.
»Das
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