Ketchuprote Wolken

Titel: Ketchuprote Wolken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annabel Pitcher

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die Berliner Mauer hoch. »Und bei den Romanen herrscht auch ziemliche Unordnung.« Mrs Simpson blickte argwöhnisch auf die Wendeltreppe. Aaron wartete immer noch auf mich beim D-Regal.
    »Das kann ich auch machen«, erwiderte Mrs Simpson pikiert. »Du wirst im Büro gebraucht.«
    Sie starrte mich an, bis ich mich in Bewegung setzte. Mit Lichtgeschwindigkeit sortierte ich im Stehen die Scheine und hoffte, dass Aaron nicht gehen würde, ohne sich zu verabschieden. Aber als ich zum siebten Mal durch die Glastür blickte, war genau das passiert. An seinem Tisch saß niemand mehr, und seine Tasche war verschwunden.
    Ich sank auf einen Stuhl, doch genau in dem Moment, in dem mein Po den Sitz berührte, klopfte es am Fenster, und ich würde ja nun zu gern erzählen, Stuart, dass Aarons Haare wirr abstanden und sich ein Blatt darin verfangen hatte, als habe er sich durch Hecken geschlagen, um zu mir kommen. Aber das wäre gelogen, weil er nämlich einfach nur draußen auf der Straße stand und hinter ihm Autos vorbeifuhren, und eigentlich war nichts Besonderes an der Situation, nur mein Herz schien das nicht zu merken. Es löste sich aus meiner Brust und stieg zum Himmel auf, ein leuchtend roter Blitz vor all dem Blau.
    Aaron winkte, und ich winkte. Er legte seine Hand an das Glas, und ich tat das auch, und dann riss er die Augen weit auf und klimperte mit den Wimpern, als seien wir in einer kitschigen Filmszene. Und es mag komisch klingen, aber genauso war es auch, und wir wussten es beide, und deshalb hatten wir beide vor Aufregung knallrote Wangen.
    Viele Grüße
Zoe

1 Fiction Road
Bath
    25. Dezember
    Hi, Stuart,
    vor einer Stunde hat der erste Weihnachtsfeiertag begonnen, und es ist so kalt, dass ich meinen Atem sehe, weshalb ich sehr froh bin über meine Mütze und den Schal und Dads Jacke. Ich kann nicht lange bleiben, weil meine Finger schon halb erfroren sind, und außerdem steht Dot bestimmt ganz früh auf, um nachzuschauen, ob der Weihnachtsmann da gewesen ist. Aber ich wollte dir rasch schreiben, dass ich an dich denke und hoffe, dass du in deiner Zelle so fest schlummerst wie das Jesuskind, nur dass du eben eine Narbe und einen rasierten Schädel hast und dir niemand Gold, Weihrauch und Myrrhe bringt. Keine Sorge, da entgeht dir nicht viel, ich habe nämlich in Religion erfahren, dass Myrrhe eine Art klebriges Baumharz ist, und ich persönlich finde das ja etwas gemein von dem dritten Heiligen König, dem Erlöser irgendwelche Baumpampe zu schenken. Er hätte wirklich etwas Praktischeres mitnehmen können, als er auf seinem Kamel durch die Wüste ritt, wie zum Beispiel Schokolade in Form von Rentieren, was ich übrigens hier auf deinen Umschlag gemalt habe.

Dot war gestern Abend total überdreht, rannte ständig durchs Wohnzimmer und hielt sich die Hände an den Kopf, als habe sie ein Geweih. Es machte mich irgendwie wehmütig, sie so aufgeregt zu sehen. Vielleicht bist du ja auch wehmütig, Stuart. Vielleicht denkst du an die Zeit, als du mit deinem Bruder Gebäck und ein Glas Sherry für den Weihnachtsmann auf das Kaminsims gestellt hast, und wirst wehmütig, weil du jetzt in einer Gefängniszelle sitzt und dein Bruder irgendwo weit weg ist, vermutlich mit einem Foto von deiner Frau an der Wand und einem kahlen Weihnachtsbaum, weil dein Bruder nicht die Kraft aufbringt, ihn zu schmücken.
    Aber ich verplempere Zeit und sollte lieber loslegen, bevor Dot aufsteht. Ich dachte mir, ich erzähle dir diesmal, was sonst noch so im Dezember passiert ist. Stell dir also Frost vor, und die Stimmung im Arbeitszimmer war auch frostig, weil Dad eine weitere Bewerbung ausfüllte, während Mum ihm dabei über die Schulter schaute.
    TEIL ACHT
    »Das ist zu umgangssprachlich.«
    Dad trommelte mit den Fingern auf den Schreibtisch. »Finde ich nicht.«
    »Doch. Das muss offizieller klingen.«
    Dad drückte die Löschtaste. »Warum bewirbst du dich nicht für den Job, anstatt meine Bewerbung zu korrigieren? Es ist ohnehin dein juristisches Fachgebiet.«
    Mum beugte sich vor und tippte einen Satz ein. »Das haben wir doch längst geklärt. Ich fang jetzt nicht noch mal von vorn an.« Sie sammelte drei leere Kaffeebecher ein und mar schierte hinaus.
    Das Haus war sauberer denn je. Die Armaturen im Badezimmer funkelten, und die Möbel rochen nach Politur. Die Bettzeiten mussten genau eingehalten werden, und Mum prüfte die Hausaufgaben noch strenger und zwang mich dazu, einen Aufsatz für Geschichte noch mal neu zu schreiben,