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Ketchuprote Wolken

Ketchuprote Wolken

Titel: Ketchuprote Wolken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annabel Pitcher
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an Weihnachten hatte ich gar kein schlechtes Gewissen wegen der Lüge, falls du dich das jetzt fragst.
    »Mädelsabend mit Übernachten? Und was macht ihr da?«, hatte Mum gefragt.
    »Nägel lackieren. Film gucken«, hatte ich geantwortet.
    »Nimm aber eine dezente Farbe«, hatte Mum gesagt. »In ein paar Tagen geht die Schule wieder los. Und schaut euch nicht so ein Horrorzeug an, ja, mein Schatz? Ich geb dir diesen Film über den Riesen, okay?«
    Ein paar Stunden später lag Shrek unbenutzt auf Laurens Bett, und das Haus platzte fast aus den Nähten, so wie mein Koffer, wenn ich verreise, weil ich immer zu viele Sachen mitnehme. Ich drängte mich in der Küche zum Tisch mit den Getränken durch und schnappte mir eine Handvoll Cracker und eine Flasche Wein. Als ich sie entkorkte, sah ich Mums Gesicht vor mir, aber ich goss mir ein großes Glas ein, und ganz ehrlich, es sah super aus in meiner Hand, weil der rubinrote Wein und meine Nägel dieselbe Farbe hatten.
    Die Musik ging los, und die Leute tanzten überall, im Flur, auf der Veranda, im Wohnzimmer, und die Drinks spritzten aus den Plastikbechern und Kaffeebechern und sogar aus einem Milchkrug, weil es nicht genug Gläser für alle gab. Hüf ten schwangen, und Schultern zuckten, und Köpfe ruckten, alle Leute bewegten sich, als seien sie ein Körper, und zum allerersten Mal war ich mittendrin, ganz wild und Arme schwenkend in der Küche neben dem Toaster.
    Es ist komisch, wie schlau die Augen sind, wie sie Dinge am Rand erkennen können, obwohl man auf etwas direkt vor sich schaut. Lauren wirbelte in einem Glitzertop unter meinem Arm hindurch, aber aus den Augenwinkel sah ich rote Haare und eine schwarze Jacke, Flammen auf Kohle. Mein Ma gen zog sich zusammen, und tatsächlich kam da Anna in die Küche, gefolgt von Aaron, wie üblich in einem weiten Pulli. Er musste von Laurens Bruder eingeladen worden sein, das war die einzige Erklärung, und ich vergaß das Tanzen und starrte die beiden an. Nach der ganzen Flirterei. Nach dem Schneemann . Meine Hände ballten sich unwillkürlich zu Fäusten, als Aaron lachte, nachdem Anna ihm etwas ins Ohr geflüstert hatte. Vollkommen am Boden zerstört beobachtete ich, wie Aaron Annas Arm berührte und auf den Tisch mit den Drinks rechts von mir deutete.
    NEIN!
    Ich weiß nicht, ob ich das stumm oder laut gesagt habe, als Anna nickte und Aaron in meine Richtung steuerte. Ich musste mich verstecken, aber wo? Hinter dem Sessel in der Ecke? Im Küchenschrank beim Müsli? Panisch stellte ich mich hinter einen großen Jungen mit Akne, als Aaron sich an Lauren vorbeidrängte. Mein Herzschlag wurde schneller. Aaron trat zum Tisch mit den Getränken. Jetzt raste mein Puls förmlich. Aaron nickte dem Jungen mit der Akne zu. Jetzt schien mein Herz zu explodieren. Nur einen Meter entfernt war Aaron, aber ich durfte nicht zulassen, dass er mich sah, nicht, wenn er mit einem anderen Mädchen hier war und wenn sein Bruder sich vermutlich auch irgendwo im Haus aufhielt.
    Ich kehrte dem Tisch den Rücken zu, mit der Absicht, so lange in die andere Richtung zu starren, bis Aaron wieder weg war. Was leichter gesagt war als getan, wie auch dieser Orpheus in der Unterwelt gemerkt hat. Orpheus war jemand aus der griechischen Mythologie, falls du das nicht wusstest, Stuart, und um seine Frau zu retten, musste Orpheus sie aus der Gefahrenzone führen, ohne sich umzudrehen und sie anzuschauen. Und als er es dann fast geschafft hatte, guckte er über die Schulter, und seine Frau löste sich in Luft auf. Aber als ich mich umdrehte, hatte Aaron sich leider weder in Luft noch in sonst was aufgelöst, sondern stand immer noch da und aß einen Nacho. Ich konnte sogar das Knirschen hören.
    Dann schnappte er sich zwei Bier und kehrte zu Anna zurück. Ich stellte mich auf die Zehenspitzen und sah, wie er ihr über den Rücken strich, um sich bemerkbar zu machen, und seine ganze DNA funkelte zwischen ihren Schulterblättern. Tränen stiegen mir in die Augen, und ich drängte mich mit gesenktem Kopf nach draußen in den Flur, wollte nach oben, doch jemand packte meine Hand und hielt sie fest, als ich ein paar Stufen die Treppe hinaufgestiegen war.
    Ich schaute auf die Hand. Von der Hand zum Handgelenk und dann zum Arm, und mein Herz schlug immer schneller und schien stehen zu bleiben, als ich merkte, dass die Hand zu Max gehörte, nicht zu seinem Bruder. Er rief irgendetwas, das ich bei dem Lärm nicht verstehen konnte, und zog an mir. Ich widersetzte mich

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