Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ketchuprote Wolken

Ketchuprote Wolken

Titel: Ketchuprote Wolken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annabel Pitcher
Vom Netzwerk:
ein frohes neues Jahr wünschen und so, aber vielleicht ist das gar keine gute Idee. Häftlinge bleiben an Silvester wahrscheinlich nicht bis Mitternacht wach, weil sie ja nichts zu feiern haben. Normalerweise denken die Leute an diesem Abend an die schönen Sachen, die sie im vergangenen Jahr erlebt haben, und freuen sich auf tolle Vorhaben im neuen Jahr, wie mit der Schule fertig zu werden, den Führerschein zu machen, zu studieren oder so. Häftlinge haben wohl eher nichts, worauf sie sich freuen können, es sei denn, die Leute im Todestrakt jubeln an Mitternacht, weil sie nun nicht mehr so lange auf ihre Hinrichtung warten müssen. Oder sie reißen die Arme hoch, weil sie noch ein Jahr in petto haben, obwohl sie gar nicht damit gerechnet hatten, und weil ein Jahr in einer Zelle, die nicht grö ßer ist als dieser Schuppen, immer noch besser ist, als tot zu sein.
    Das ist so traurig, Stuart, und es erinnert mich irgendwie an Eine Weihnachtsgeschichte , um ehrlich zu sein. Falls du nie Dickens gelesen oder die Muppets gesehen hast, erkläre ich dir jetzt mal, dass Bob Cratchit ein furchtbar armer Mann war und für seine Familie nur eine kümmerliche Weihnachtsgans kaufen konnte, aber seine Kinder klatschten, als sie auf den Tisch kam, und bewunderten sie, als sei sie ein großer fetter Vogel mit viel weißem Fleisch, der sie wochenlang ernähren würde. Der Applaus war ziemlich übertrieben, und so ein Gefühl habe ich auch, wenn ich mir vorstelle, wie du in einem orangen Overall dir selbst die Hand hältst und Auld Lang Syne singst, um das bisschen Leben zu feiern, das dir in deiner Zelle bleibt.
    Falls du das nicht kennst: Auld Lang Syne ist Schottisch und bedeutet so etwas wie »längst vergangene Zeit«, sagt meine Geografielehrerin, und die muss es wissen, denn Haggis ist ihr Lieblingsessen. Wir singen dieses Lied, um uns an die guten Zeiten mit Menschen aus der Vergangenheit zu erinnern, und das gefällt mir viel besser als meine ursprüngliche Deutung. Lauren hat mir vor zwölf Monaten erklärt, wie der Text wirklich geht, und ich glaube, an dieser Stelle werde ich heute weitererzählen. Als Lauren sich kringelig lachte, weil ich den Text falsch verstanden hatte und glaubte, man feiere das Jahresende mit einem Lied über die mangelnde Sehkraft eines Rentners.

    TEIL NEUN
    »›Old Lan’s eye‹! Du spinnst doch wohl!«
    »Klappe«, sagte ich und haute Lauren mit einem der Luftballons auf den Kopf, die wir für die Partydeko vorbereiteten. Lauren hatte erst an diesem Morgen beschlossen, Leute einzuladen, nachdem ihre Mutter verkündet hatte, ihr Freund habe für sie beide ein Überraschungswochenende in London gebucht. »Vögeln im Hilton«, hatte Lauren mir am Telefon erklärt.
    Ich blies den nächsten Ballon auf.
    »Wie viele Leute kommen denn?«
    Lauren nahm mir den Ballon aus der Hand, knotete ihn zu und warf ihn zu den anderen auf den Haufen.
    »Keine Ahnung. Ich hab alle eingeladen, die ich kenne, es werden also hoffentlich genug Leute werden. Mein Bruder hat auch noch ein paar von seinen Freunden Bescheid gesagt.« Sie piekte mich in die Rippen. »Max kommt auch.« Als ich nicht reagierte, sagte Lauren: »Du freust dich doch, oder nicht?«
    »Ja. Ja. Klar«, sagte ich und zwang mich zu einem Grinsen, obwohl ich an die zig Nachrichten denken musste, die er mir über Weihnachten geschrieben hatte und von denen ich nur einige wenige beantwortet hatte. Nur gerade so viele, dass ich nicht unhöflich wirkte. Aber es musste ihm mittlerweile eigentlich klar sein, dass ich kein Interesse mehr an ihm hatte.
    »Gut! Wenn du ihn nämlich nicht mehr willst, dann nehm ich ihn gerne. Ganz im Ernst. Ich hab gehört, wie die im Mädchenklo über dich geredet haben, das ging die ganze Zeit so ›oh mein Gott, hat die ein Glück‹. Und diese Becky mit dem komischen Hals meinte, sie ist schon seit drei Jahren verknallt in den, aber die kann bestimmt nicht bei ihm landen, es sei denn, er hat eine perverse Schwäche für Schwäne.« Diesmal war mein Grinsen echt. »Okay, erledigt«, sagte Lauren, als der letzte Ballon aufgeblasen war und auf dem Haufen lag. »Du kannst zuerst in die Dusche, dich fertig machen für deinen Traumtypen …«
    Du wunderst dich jetzt wahrscheinlich, Stuart, dass ich überhaupt zu dieser Party gehen durfte, aber Mum wusste nichts davon. Sie hatte mir erlaubt, bei Lauren zu übernachten, weil ich gesagt hatte, wir wollten einen Mädelsabend machen. Und nach dieser ganzen Streiterei meiner Eltern

Weitere Kostenlose Bücher