Ketchuprote Wolken
ist unser Geld, das du verschwendest, indem du jeden Tag zu diesem Mann fährst, anstatt etwas Sinnvolles zu tun.«
»Dieses Geld habe ich verdient!«
»Aber jetzt nicht mehr! Und wir können es uns nicht leisten, es zu vergeuden, weil du keinen verdammten Job findest!«
»Ich werde ganz bestimmt keine Jobratschläge von jemandem annehmen, der sich selbst weigert zu arbeiten!«
»Mein Arbeitsplatz ist hier«, wandte Mum ein. »Bei den Mädchen. Jemand muss für sie sorgen und dich davon abhalten, ihnen etwas Gefährliches anzutun wie …«
»Meine Kinder zu ihrem Großvater zu bringen ist doch nicht gefährlich!«
»Das ist albern!«
»Du bist albern! Es würde ihnen nicht im Geringsten schaden. Du beschützt sie zu sehr. Verhinderst, dass sie selbständig werden. Sie müssen sich der Welt aussetzen.«
»Ich bin diejenige, die das Implantat für Dot will, damit sie die verdammte Welt hören kann!«
»Es geht ihr gut!«, versetzte Dad. »Es geht ihr gut so!«
»Nein, Simon, sie tut sich schwer. Das hat die Logopädin mir heute gesagt. Dot macht mit dem Lippenlesen nicht so schnell Fortschritte, wie es möglich wäre, und …«
»Sie beherrscht die Gebärdensprache und kommt mit Unterstützung in der Schule gut klar. Es besteht kein Anlass, sie wieder einer Operation zu unterziehen und ihr Leben durcheinanderzubringen.«
»Aber sie würde dann hören können«, sagte Mum mit zitteriger Stimme. »Musik. Den Fernseher. Mich.«
»Sie würde einen Haufen elektronischer Pieptöne und irgendwelches Zeug hören, das nichts mit der realen Welt zu tun hat. Und auch das wäre nicht einmal sicher. Du hast doch gesehen, was beim letzten Mal passiert ist! Nein!«, endete Dad entschieden. »Das ist das Risiko nicht wert. Du bist selbstsüchtig!«
»Selbstsüchtig? Es geht mir um unsere Tochter!«
»Nein, es geht dir um dich«, versetzte Dad, »und das wissen wir auch beide!«
»Was soll das heißen?«
»Du weißt genau, wovon ich rede!«, schrie Dad. »Du willst, dass Dot hören kann, weil du daran schuld bist, dass sie …«
»RAUS!«, brüllte Mum so laut, dass die Wände wackelten. »HAU AB!«
Ich hätte nicht gedacht, dass Dad wirklich abhauen würde, aber dann knallte die Wohnzimmertür – und danach die Haustür. Mir stockte der Atem, und ich umklammerte zittrig das Treppengeländer. Ich starrte auf meine Füße, weil ich nicht wusste, was ich jetzt tun sollte. Hinter mir knarrte eine Tür, und Soph spähte verängstigt aus ihrem Zimmer. Ich sagte ihr, sie solle sich wieder ins Bett legen, aber dann fing Mum im Wohnzimmer zu schluchzen an, und wir rannten nach unten.
»Mum?« Nach dem ganzen Gebrüll kam meine Stimme mir erstaunlich leise vor. »Ist alles okay?«
Mum hockte in sich zusammengesunken auf der Ledercouch, und ihre Schultern bebten. »Ja … ja … alles okay.«
Soph rannte zu Mum, kletterte auf ihren Schoß und schlang ihr die Arme um den Hals.
»Was war denn los?«, fragte ich. Ich klang genervt und gab mir auch keine Mühe, das zu verbergen. Großvater und Mum und ihre Arbeit und Dot – das alles ergab überhaupt keinen Sinn. »Was ist deine Schuld? Was hat Dad damit gemeint?«
»Nichts«, antwortete Mum zittrig und wischte sich die Augen.
»Das ist nicht nichts!«, explodierte ich. Ich stand vor Mum und sah wahrscheinlich echt wütend aus. »Dad ist grade aus dem Haus gerannt!«
»Er wird in fünf Minuten wieder hier sein. Wenn er sich beruhigt hat«, erwiderte Mum und hob Soph von ihrem Schoß. »Du bist ein bisschen schwer, Schatz.« Sie stand auf, holte tief Luft und wischte sich mit dem Ärmel die Nase ab. »Er kann so entsetzlich stur sein. Will einfach nicht, dass Dot geholfen wird. Und obwohl er genau weiß, was passiert ist, stresst er mich damit, dass ihr Großvater besuchen sollt.«
»Was ist denn passiert?«
»Ich werde mich nicht von ihm schikanieren lassen«, sagte Mum, die offenbar nicht zuhörte, und strich sich die Haare hinter die Ohren. »Unter keinen Umständen.«
» Soph wird schikaniert«, sagte ich nachdrücklich. »Und zwar wirklich. Von Mädchen aus ihrer Klasse.« Mum starrte Soph an, die am Ärmel ihres Schlafanzugs zupfte. »Schon seit einer ganzen Weile, und es wird immer schlimmer. Du musst was unternehmen, weil es jetzt richtig übel ist. Die sagen nicht nur Ausdrücke und so. Ein Mädchen namens Portia hat Soph sogar geschlagen.«
»Was?«
»Ja«, sagte ich. Mum sah schockiert aus, und ich hoffte, dass sie endlich zur Vernunft kommen würde. »Ich
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