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Ketchuprote Wolken

Ketchuprote Wolken

Titel: Ketchuprote Wolken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annabel Pitcher
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dachte mir, du solltest wissen, dass es noch andere Probleme gibt außer denen zwischen dir und Dad.«
    In diesem Augenblick kam Dad herein, mit einer Zeitung unter dem Arm. Sein helleres Auge sah so grau aus wie bei einem Unwetter. Keiner von beiden entschuldigte sich. Mum sah zu, wie Dad sich im Sessel niederließ, und Dad sah zu, wie Mum die Kleider auf dem Heizkörper glattstrich, und ich habe keine Ahnung, was in den Köpfen der beiden vorging, Stu, aber ich nehme mal an, dass sie nicht an goldene Seide, Felsteiche und Sternenlicht gedacht haben.
    Alles Liebe
Zoe

1 Fiction Road
Bath
    3. März
    Hallo, lieber Stu,
    nicht mal mehr zwei Monate. Ich frage mich, ob du wohl in deinem Kalender den 1. Mai angekreuzt hast und ob du vielleicht sogar »18.00 Uhr Todesspritze« reingeschrieben hast, und ich kann nur hoffen, dass du keine Nadelphobie hast. Lauren ist nämlich zweimal bei einer Impfung in der Schule ohnmächtig geworden und hat fast ihre Zunge verschluckt. Es muss so seltsam sein, wenn man weiß, dass man sterben wird. Wenn sich die Spannung so steigert. Wie an Weihnachten, nur ohne Truthahn – es sei denn, du hast dir so einen Vogel als Henkersmahlzeit bestellt. Aber vielleicht kommt es ja auch gar nicht dazu, also sollten wir uns über die ganzen Details nicht den Kopf zerbrechen, denn wenn die Nonne was erreichen kann, bleiben dir womöglich noch ein paar Jahre. Niemand weiß, was in einem Monat oder in zwei Monaten sein wird. Das sage ich mir auch immer, wenn ich beim Gedanken an die Gedenkfeier nervös werde.
    Sie wird übrigens in der Schule stattfinden, denn Sandra hat die Erlaubnis bekommen, am 1. Mai die Aula zu mieten, und es wird ein zweigängiges Menü geben, das unsere Essensfrauen zubereiten.
    »Es wird schön werden«, sagte Sandra, als Mum und ich voriges Wochenende in ihrem Wintergarten saßen. Mum lächelte, und ich dachte darüber nach, wieso man das Andenken an jemanden mit Pudding bewahren sollte. »Und ich werde dabei auch noch der Schule etwas spenden können. Die Karte kostet fünfzehn Pfund. Du kommst natürlich umsonst rein«, sagte sie zu mir und tätschelte mir das Knie. Ich tat, als müsste ich mich kratzen, um mein Knie außer Reichweite zu bringen. »Hast du dir inzwischen überlegt, was du vorlesen möchtest?« Ich brachte keinen Ton hervor. Die Sonne brach durch die Wolken und spießte mich wie eine heiße goldene Stecknadel auf das Sofa.
    »Du musstest so viel für die Schule machen, nicht?«, sagte Mum, als mir der Schweiß auf die Stirn trat.
    »Ich fände ja etwas Persönliches am schönsten. Etwas, das sie selbst geschrieben hat«, redete Sandra weiter, als sei ich gar nicht da. »Etwas, das von Herzen kommt.«
    »Das kannst du bestimmt super, Zo«, sagte Mum und nahm meine Hand. »Du kannst doch so toll schreiben.«
    Es war nett von ihr, das zu sagen, aber als ich das dann versuchte, Stu, brachte ich nicht mehr zustande, als fünfmal Max’ Namen zu schreiben und ihn zu unterstreichen. Dann zerknüllte ich das Blatt und feuerte es auf den Boden und trat wütend drauf, wobei mir der Fuß wehtat, aber das hatte ich verdient, und deshalb trampelte ich weiter auf dem Papier herum und hasste mich für das, was ich getan hatte.
    Es wäre so wunderbar, den Regen und die Bäume und die verschwindende Hand vergessen zu können und wie Großvater nach seinem Schlaganfall völlig verwirrt zu sein, keine Erinnerungen mehr zu haben und nur noch Wackelpudding mit Erdbeergeschmack zu verlangen.
    Wenn ich das aber alles nicht vergessen kann, dann muss ich es aussprechen, und zwar dringend, denn uns bleibt nicht mehr viel Zeit, Stu. So schwer es mir auch fällt – ich muss weiterschreiben. Du bist der Einzige, der mich verstehen kann, und wenn du am 1. Mai doch hingerichtet werden solltest, habe ich meine Chance vertan. Dann wirst du sterben, ohne das Schlimmste von mir zu wissen, obwohl ich das Schlimmste von dir weiß, und das wäre dann nicht gerecht, weil wir ja in einem Boot sitzen. Mach dir also keine Sorgen, ich werde weitererzählen bis zum bitteren Ende, damit du abgelenkt bist und dich nicht einsam fühlst in deiner Zelle, die dir wahrscheinlich jetzt, wo die Welt immer weiter wegrückt, kleiner vorkommt denn je.
    TEIL ZWÖLF
    Wir fangen bei Dots sechstem Geburtstag am 16. Februar an, stell dir also vor, wie sie auf mein Bett springt, um mich zu wecken – oder ich glaube, sie sprang eigentlich auf mich und traf mit dem Knie meinen Kopf.
    »Ich hab Geburtstag!«, gebärdete

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