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Ketchuprote Wolken

Ketchuprote Wolken

Titel: Ketchuprote Wolken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annabel Pitcher
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Sein Tonfall erstaunte mich. Schockierte mich sogar regelrecht. Aaron hielt einen Roman von Dickens hoch. »Für meinen Essay, den ich am Montag abgeben muss. Ich hab mein Exemplar im College gelassen. Nur deshalb bin ich hier.«
    Ich hielt George Eliot hoch und deutete auf den ersten Stock. »Und ich bin nur wegen dem hier hochgekommen. Muss es ins Regal stellen.«
    Wir starrten uns beide aufgebracht an, aber in unserem Blick lag noch etwas Größeres als Ärger. Beide rührten wir uns nicht von der Stelle. Ich stand Aaron im Weg und er mir, doch wir bewegten uns keinen Millimeter, verharrten zwischen zwei Stockwerken, während über unseren Köpfen und unter unseren Füßen Leute herumliefen.
    Die Luft war wie mit Strom aufgeladen. Summte und brummte und knisterte, als stünde ein Unwetter bevor.
    »Du hättest mir nicht vorwerfen sollen, dass ich hinterhältig und verlogen bin«, sagte ich schließlich.
    »Dann hättest du dich auch nicht so benehmen sollen«, erwiderte Aaron, aber wir starrten uns weiterhin an und dachten an die Eule und das Lagerfeuer und an die Mauer in meiner Straße und das Fenster der Bücherei, auf dem sich unsere zitternden Händen berührt hatten. Tausend versäumte Gelegenheiten.
    Tausendundeine.
    »Kannst du mich bitte mal vorbeilassen?«, sagte Aaron mit gepresster Stimme. »Ich muss weiter.«
    Ich war zu enttäuscht, um mich zu widersetzen, und machte ihm Platz. Unsere Körper streiften sich, und ich bin ganz sicher, dass er auch dieses Brennen auf der Haut spürte, als die Treppe vibrierte und unsere Knochen bis ins Mark erschütterte.
    Im ersten Stock kam ein fetter Mann auf mich zu und fragte nach den Kriminalromanen, während Aaron unten ans Ausleihpult trat.
    »Gibt es noch andere Krimis von amerikanischen Autoren?«, fragte der Mann. »Ich meine, außer Grisham.« Unten legte Aaron seine Ausleihkarte auf den Tisch. Braune Augen, die einen Blick in meine Richtung warfen, dann rot anlaufende Haut, als Aaron merkte, dass ich ihn beobachtete. »Von dem hab ich schon alles gelesen. Bis auf Die Akte, aber ich kenne den Film.« Meine Lippen zuckten, weil ich so vieles sagen wollte. Sagen musste. »Ist natürlich nicht ganz dasselbe, wie wenn man das Buch liest, aber …«
    »Entschuldigung«, unterbrach ich den Mann, als Mrs Simpson Aarons Buch einscannte und das Datum hineinstempelte und er hinausging. »Entschuldigung, ich muss nur eben …« Ich rannte die Treppe hinunter. »Warte«, flüsterte ich. Als ich am Ausleihpult vorbeiraste, zischte Mrs Simpson meinen Namen. Die Glastür war kalt an meinen Händen, als ich sie aufstieß und durch den Vorraum rannte, hinaus in den Regen – richtigen englischen Schnürlregen, der auf mich herabprasselte, so dass meine Haare und meine Kleider in wenigen Sekunden völlig durchnässt waren. Ich blickte wie wild um mich und versuchte, Aaron zwischen den Passanten auf dem Gehweg zu entdecken, aber er war verschwunden.
    Ich lief in die Eingangshalle zurück, ging neben dem Heizkörper in die Hocke, stützte den Kopf in die Hände. Aus und vorbei. Meine letzte Chance vertan – doch dann hörte ich plötzlich eine Klospülung, und da kam Aaron doch wahrhaftig aus der Toilette und wischte sich die Hände an der Jeans ab. Ich sprang auf und rannte zu ihm. Meine Schuhe quietschten vor Nässe, und meine Ponyfransen klebten mir an der Stirn. Vielleicht bildete ich es mir ein, doch Aarons Lippen schienen zu zucken, als ich da so triefend vor ihm stand. Und das ist jetzt nicht metaphorisch gemeint, Stu, aber vielleicht war ich so nass, weil schon bei diesem winzigen Lächeln von Aaron alles in mir zerfloss.
    »Aaron, hör zu, ich wusste es wirklich nicht«, platzte ich heraus. »Ich wusste nicht, dass ihr Brüder seid. Jedenfalls nicht am Anfang.« Der Anflug des Lächelns verschwand. »Ich habe Max damals auf der Party geküsst, weil du verschwunden warst. Nur aus diesem Grund! Du musst mir glauben.«
    »Ich war gar nicht lange weg«, murmelte Aaron und verschränkte die Arme vor der Brust. »Ich bin nur ein Stück die Straße entlanggegangen, weil meine Mutter anrief und die nicht wusste, dass wir eine Party machen.«
    »Ich hab nach dir gesucht«, sagte ich und breitete die Hände aus. »Überall! Und beim Lagerfeuer habe ich Max nur geküsst, weil ich mich so darüber aufgeregt habe, dass du eine Freundin hattest.«
    »Ich habe gar keine Fr…«
    »Das weiß ich jetzt auch!«, sagte ich und wischte mir entnervt Wasser aus dem Gesicht. »Aber damals

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