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Ketchuprote Wolken

Ketchuprote Wolken

Titel: Ketchuprote Wolken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annabel Pitcher
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kniete sich neben mir auf den Boden. Obwohl es draußen kalt war, trug sie nur ein T-Shirt und hatte Gänsehaut an den Armen. Und Dot hatte vollkommen recht mit dem Geruch. Als Sandra ihre Tasche umdrehte und ausschüttelte, roch ich ihre Alkoholfahne. Fotos fielen neben meine Füße.
    »Für die Ausstellung. Bei der Gedenkfeier. Ich dachte mir, du würdest die vielleicht sehen wollen, Zoe.«
    Bevor ich antworten konnte, fragte Dad mit gerunzelter Stirn: »Bist du mit dem Wagen hergekommen, Sandra?«
    Sandra grinste nur. »Schau mal das da«, sagte sie und hielt ein Foto hoch, auf dem ein Baby mit gepuderten Beinchen zu sehen war. »Und das!«
    »Fettes Baby«, gebärdete Dot.
    »Süß«, sagte Dad. »Sehr süß.«
    Ein leichtes Schlurfen von Pantoffeln war zu hören, dann kam Mum mit einem Buch in der Hand herein. Sie blieb abrupt stehen, als sie Sandra und die verstreuten Fotos sah.
    »Ähm, hallo«, sagte sie. »Was macht ihr hier?«
    »Die Frau ist verrückt«, gebärdete Dot.
    »Sandra will uns ein paar Fotos zeigen«, sagte Dad und funkelte Dot erbost an, weil sie kicherte. »Ist das nicht nett von ihr?«
    Ein strahlendes Kleinkind, das Gesicht mit Schokolade verschmiert.
    Ein Neunjähriger mit Schorf am Knie.
    Erstes Schulfoto.
    Letztes Schulfoto.
    Das Foto vom Frühlingsfest, ich zwischen den beiden Brüdern.
    Sandra reichte es mir, und ich nahm es, aber meine Hände zittern so heftig, dass ich das Foto auf meinen Schoß legte und meine schweißnassen Hände zwischen die Knie klemmte. Mein Gesicht fühlte sich auch schlimm an, und ich versuchte zu lächeln, doch meine Lippen waren zu starr.
    »Man käme nie auf die Idee, dass gleich etwas Furchtbares passieren wird«, sagte Sandra leise mit einem Blick auf das Bild. »Keinerlei Anzeichen dafür … Aber ich wollte dich etwas fragen«, murmelte sie, und mir wurde schlagartig flau im Magen. »Etwas zu diesem Abend.«
    »Ich glaube, Zoe steht das nicht durch«, sagte Mum rasch, als sie sah, wie ich bleich wurde. »Sie verkraftet es nicht gut, über das Frühlingsfest zu sprechen.«
    »Es ist aber wichtig.«
    »Ich glaube, es ist besser, wenn wir uns einfach nur die Fotos anschauen«, sagte Mum. »Da sind bestimmt schöne dabei.«
    »Warum habt ihr euch vom Fest entfernt?«, fragte Sandra hartnäckig weiter, und obwohl sie Alkohol getrunken hatte, war ihr Blick klar und durchdringend.
    »Das hab ich doch schon erzählt«, sagte ich zu schnell. »Wir sind spazieren gegangen.«
    »Aber warum?«
    »Das hier ist hübsch«, sagte Mum und zeigte auf ein Bild von Max, Aaron und Fiona auf Mountainbikes. »Sehr süß. Lass uns noch andere anschauen.« Sie wollte nach einem Foto greifen, aber Sandra sammelte alle Bilder ein und legte sie auf einen Stapel.
    »Ich möchte die letzten Schritte meines Sohnes nachvollziehen können.«
    Mein Herz schlug wie wild an meine Rippen, wollte diesen Fragen entkommen. Ich sprang auf. »Ich kann das nicht«, sagte ich, und Tränen stiegen mir in die Augen. »Ich kann nicht darüber sprechen. Das geht nicht. Ich träume jede Nacht davon, und ich kann nicht daran denken, weil es immer noch so …«
    »Schon gut, Schatz«, sagte Mum, und Dad legte mir die Hand auf den schweißnassen Rücken.
    Sandra errötete und umklammerte den Fotostapel. »Tut mir leid. Ich – ich verstehe nur nicht, warum ihr nicht auf dem Fest geblieben seid. Was wolltet ihr im Wald?«
    »Nichts. Uns war langweilig geworden«, log ich. »Nichts weiter. Uns war langweilig.«
    »Wäre es nur nicht so gewesen«, murmelte Sandra, und da ging ich mit zitternden Beinen raus, Stu, unter dem Vorwand, mir Tee kochen zu wollen. Zehn Minuten später stand ich immer noch in der Küche und starrte auf den Wasserkessel, bis Mum dazukam und ihn einschaltete.
    Alles Liebe!
Zoe

1 Fiction Road
Bath
    1. April
    Mein lieber Stu,
    ich sagte Sandra dann, dass ich bei der Gedenkfeier nichts vortragen würde. Ich platzte in ihr Haus und rannte in den Wintergarten und brüllte: » NEIN !«
    Sandra schaute von den Fotos auf und verengte die Augen. »Was?«
    »Nein. Einfach nein«, schrie ich und wedelte ihr sogar mit zitterndem Zeigefinger vor dem Gesicht herum. » Nein .«
    Ein Aprilscherz, Stu.
    Manchmal rede ich mir nachts ein, dass alles nur ein Scherz war. Ich liege dann in der Dunkelheit und sage mir, dass dieses Leben nicht meines ist. Ich muss nur bis Mitternacht warten, dann wird Sandra sich umdrehen und »erwischt!« schreien, und eine Stimme wird aus dem Sarg rufen »Aprilscherz!«,

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