Ketchuprote Wolken
dachte ich wirklich, dass ihr zusammen seid, ich schwöre es dir.«
Aaron verdrehte die Augen. »Und dann hast du einfach beschlossen, dich stattdessen mit meinem Bruder zu vergnügen?«
»Ich wusste nicht, dass ihr beide Brüder seid, als das alles anfing«, sagte ich verzweifelt. Ich wollte unbedingt, dass er mir glaubte. »Woher hätte ich das denn wissen sollen? Ich hätte doch nie …«
»Aber dann hast du es erfahren!«, erwiderte Aaron. »Und hast weitergemacht!«
»Nur, weil du es mir quasi aufgetragen hast!«
»Du nutzt ihn also nur aus?«, fragte Aaron.
»Nein, ich meine … Schau, ich mag Max schon. Ich mag ihn wirklich, aber …« Wutschnaubend setzte Aaron seine Kapuze auf und stürmte hinaus. Ich rannte ihm nach, packte ihn am Arm und drehte ihn zu mir herum, bevor er davonlaufen konnte. »Aber so können wir das jetzt nicht stehen lassen«, rief ich. Regen klatschte mir ins Gesicht.
»Wie?«, schrie Aaron zurück und riss sich los. Seine Brust hob und senkte sich, und wir keuchten beide, und ich musste ihn unbedingt dazu bringen, dass er mich verstand.
»Dass du glaubst, ich hätte mich für Max entschieden!«
»Hast du ja auch!«
»Weil ich nicht wusste, dass du frei bist!« Und ohne zu zögern und auch nur einen Gedanken auf mögliche Folgen zu verschwenden, nahm ich Aarons Gesicht in meine Hände und zog es zu mir, und unsere Münder trafen sich so heftig und wuchtig, dass es auf wunderbare Weise wehtat.
Dann lösten wir uns voneinander und starrten uns schockiert an. Ein paar Sekunden lang geschah gar nichts. Nichts und alles zugleich, denn wir sprachen kein Wort, sondern lächelten beide so glücklich, dass nirgendwo mehr Platz war für Schuldgefühle. Aaron blickte um sich, dann nahm er meine Hand, und wir rannten los, berauscht von unseren Gefühlen, auf der Suche nach einem Ort zum Alleinsein. Der Regen wurde immer heftiger, als wolle die Natur uns beistehen und alle Menschen von der Straße verbannen. Die Häuser und das Kopfsteinpflaster und die Treppen und Straßen und Kirchen und Parks – alles, die gesamte Stadt, gehörte nur uns, einen kostbaren Augenblick lang, und wir genossen ihn in vollen Zügen, Stu.
Das war Leben.
Echtes Leben.
Die Farben waren leuchtender, die Gerüche intensiver, die Geräusche lauter. Ich hörte jede Regenrinne gluckern, sah jedes Blatt grün schimmern, als wir an Bäumen vorbeiliefen, nahm den Geruch von Regen und Erde und Auspuffgasen deutlicher wahr denn je, und wir flüchteten in einen Turm, der zur Stadtmauer hinaufführte. Es roch modrig dort, und Aaron küsste mich in der Dunkelheit, und seine Lippen waren weich, aber seine Hände waren wild. Er roch nach Zahnpasta und Seife und Deo, Stu – nichts Besonderes, aber ich schloss die Augen, während seine Hände über meinen Hals strichen, meinen Rücken, meine Haare, vielleicht sogar mein Herz, während unsere Lippen sich berührten und unsere Körper sich aneinanderdrängten und unsere Füße nass wurden in einer Pfütze, die wir kaum bemerkten.
Alles Liebe
Zoe
1 Fiction Road
Bath
17. März
Hallo, lieber Stu,
wie gut, dass ich mich heute Abend hierher zurückziehen kann. Ich habe eine Decke gefunden, die Dot wahrscheinlich liegen gelassen hat, und unter die kuschle ich mich jetzt und bin froh, mich verstecken zu können. Ganz ehrlich, ich weiß nicht, wie lange ich die Fassade noch aufrechterhalten kann, Stu. Stell dir vor, wie eine Schauspielerin aus Der Zauberer von Oz ihren Text durcheinanderbringt, und die grüne Schminke der bösen Hexe tropft auf den Boden, nur dass es bei mir umgekehrt ist, wenn mein gutes Gesicht wegschmilzt und das böse darunter zum Vorschein kommt. Die Zuschauer ringen erschrocken nach Luft. Mum. Dad. Und Sandra, der vor Schreck der Mund offen stehen bleibt.
Heute Abend ist sie wieder bei uns aufgetaucht. Unangemeldet. Hat dreimal geklingelt und ist dann einfach in die Diele gegangen, ohne dass jemand sie hereingebeten hätte.
»Was will sie hier?«, gebärdete Dot. »Und warum sind ihre Haare nicht gewaschen?«
»Dot sagt guten Abend«, murmelte Dad und geleitete Sandra ins Wohnzimmer. Er sagte »wie geht’s dir« und »schön, dich zu sehen«, obwohl ich ihm anmerkte, dass er alles andere als glücklich war über ihr Erscheinen.
»Sie riecht komisch«, gebärdete Dot.
»Meine Tochter hat einen Schnupfen«, erklärte Dad, weil Dot mit der Hand vor ihrer Nase herumwedelte. »Was kann ich für dich tun, Sandra?«
Er wies auf einen Sessel, aber Sandra
Weitere Kostenlose Bücher