Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ketchuprote Wolken

Ketchuprote Wolken

Titel: Ketchuprote Wolken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annabel Pitcher
Vom Netzwerk:
die ich nicht meinte, während sein Bruder neben mir lag und seine nackte Brust sich hob und senkte und er die Hände auf die Augen gelegt hatte.
    »Was machst du denn so?«, fragte Max schließlich, und meine Kehle wurde eng. Ich räusperte mich. Zweimal.
    »Nicht viel. Nur lernen für den Physiktest«, antwortete ich dann, und Aaron schob Dads Jacke von sich und stand abrupt auf.
    Max seufzte. »Dafür muss ich auch noch was tun. Willst du nicht herkommen? Ich bin allein. Mum ist mit Fiona shoppen, und wo mein Bruder steckt, weiß ich nicht.«
    Ich verzog das Gesicht. »Ich glaub, ich bleib besser hier«, sagte ich. Aaron zog mit abrupten Bewegungen sein Sweatshirt an. »Tut mir leid. Ich muss mich konzentrieren.«
    »Bitte«, sagte er in einem Tonfall, den ich nicht von ihm kannte. »Ich muss dich sehen.«
    »Tut mir leid«, wiederholte ich. Eine Entschuldigung für Dinge, die er niemals geglaubt hätte. »Ich muss weitermachen.«
    Es dauerte noch eine ganze Weile, bis ich ihn abwimmeln konnte, und danach fühlte ich mich abscheulich.
    »Du hast getan, was du tun musstest«, sagte Aaron schließlich, aber er sah mich dabei nicht an, sondern starrte auf den Rasenmäher, und seine Stimme klang gar nicht mehr liebevoll. »Das ist alles meine Schuld«, murmelte er und fuhr sich durch die Haare. »Ich hätte niemals herkommen dürfen.«
    »Sag so was nicht. Bitte sag so was nicht.«
    Aaron setzte sich auf die Ziegel. Er sah angewidert aus. »Was tun wir hier nur, Zoe? Das ist schlimm. Richtig schlimm.« Ich kniete mich neben ihn, die Brust an seine Beine gedrückt, bettete meinen Kopf in seinen Schoß. Er legte mir die Hand auf den nackten Rücken. »So was darf nicht noch mal vorkommen.«
    »Ich weiß.«
    »Wir müssen ihm die Wahrheit sagen.«
    Ich schaute auf. »Ja, klar. Aber wann?«
    »Keine Ahnung. Wir müssen einfach den richtigen Zeitpunkt abwarten, schätze ich.«
    »Es gibt keinen richtigen Zeitpunkt«, flüsterte ich. »Es wird so oder so grauenhaft werden. Ganz furchtbar.« Aaron rieb mir die Schulter, als ich zu weinen anfing, und ich hasste mich selbst für meine Schwäche. »Aber lass uns lieber noch warten bis nach der Hochzeit. Wie du gestern schon am Telefon gesagt hast. Er braucht dich. Und mich. Wir können nicht …«
    »Das ist noch ewig hin, Zo.«
    Wir starrten uns hilflos in die Augen. Ich schniefte und versuchte, mich zusammenzureißen. »Nicht so lang. Nur ein paar Wochen.« Ich nahm seine Hände, wischte mir mit dem Arm die Tränen aus dem Gesicht. »Wir sollten ein Datum dafür festlegen. Weiß nicht, vielleicht den 1. Mai oder so.«
    Aaron küsste mich auf die Stirn. »Okay, den 1. Mai.«
    So wurde es beschlossen, Stu. Wir legten ein beliebiges Datum fest, und ich möchte nicht darüber sprechen, was an diesem Abend passiert ist, jetzt nicht und überhaupt nie. Ich will nicht über den Regen reden, die Bäume, die verschwindende Hand, das Blaulicht, die Tränen, die Lügen, den Sarg und die Schuld die Schuld die Schuld, die mich jede Minute jedes einzelnen Tages verfolgt. Und wenn ich doch alles aufschreiben muss, dann will ich das mit Bleistift machen, damit ich es sofort wieder ausradieren kann, damit ich diesen Teil meines Lebens löschen und einen Neuanfang machen kann. Und dann will ich ein Bild von mir zeichnen, mit gelöstem Lächeln und reinem Herzen, und meinen richtigen Namen in Großbuchstaben darunterschreiben, weil ich mich nicht mehr davor fürchten muss, mich in einem Brief zu verraten, der heimlich in einem Gartenschuppen geschrieben wurde.
    Alles Liebe!
Zoe

1 Fiction Road
Bath
    12. April
    Mein lieber Stu,
    wenn dieser Brief dich erreicht, ist es bis zu deiner Hinrichtung nicht mehr lange hin. Es tut mir so leid, dass ich nicht mehr tun konnte, um dein Leben zu retten. Ich kann nur hoffen, dass an deinen letzten Tagen die Sonne durch dein Fens ter scheint und der rote Drache munter am Himmel schwebt. Und ich hoffe, dass die Farben – das Blau, das Gelb, die roten Federn – kräftiger leuchten als alle Farben, die du je gesehen hast. Ich frage mich, ob du ganz ruhig bist oder ob dein Herz heftig pocht. Ob es an einem dieser Geräte im Krankenhaus BUMM BUMM BUMM machen würde, als sei ein Riese darin gefangen, oder bummbummbummbummbumm, als ob eine Maus durch die Kabel huscht.
    Was mit deinem Herz auch geschehen mag – ich hoffe, dass es sich so unbeschwert und frei anfühlt, als könne es leicht wie eine Feder der Sonne entgegenschweben und ins Universum hinaustreiben,

Weitere Kostenlose Bücher