Ketten der Liebe
schlanker Gestalt, sie hatte weibliche Rundungen und ein so hübsches Gesicht , das die Männer auf der Straße sich nach der jungen, adretten Frau umdrehten.
Amy wusste zwar , das sie selbst nicht hässlich war, aber wenn sie neben ihrer älteren Schwester stand, achtete kein Mann auf Amy. Amy sah darin keinen Anlass, sich aufzuregen, denn Clarice wusste, wie sie mit den Männern umzugehen hatte, die sich von ihrer schönen Erscheinung angezogen fühlten. Aber manchmal liefen die Dinge aus dem Ruder.
So wie am Vortag: Amys Puls beschleunigte sich jetzt noch, wenn sie nur daran dachte, wie knapp sie entkommen waren. Und nun gedachte sie, tiefer nach Schottland hineinzureiten.
Doch das schlechte Wetter hielt sie auf.
Amy hoffte, dass dadurch auch die Verfolger aufgehalten würden.
»Sorcha wird auch zurückkehren.« Clarices Zähne klapperten , aber sie sprach immer noch fröhlich und leise. »Wir werden auf eleganten Bällen tanzen und mit gut aussehenden Prinzen vermählt werden.«
»Wenn die Auswahl an Prinzen so schlecht ist wie die Riege der gewöhnlichen Männer ; wäre es klüger ; eine alte Jungfer zu bleiben«, merkte Amy verstimmt an. Je länger ihnen auf ihrer Reise Richter und erzürnte Kunden auf den Fersen waren, desto weniger glaubte Amy an die Geschichten, die Clarice ersann. Sie reichte ihrer Schwester ein Stück von dem Laib Brot , den der Wirt ihnen auf den Tisch gelegt hatte. »Hier , iss.«
Clarice nahm einen Bissen und verzog angewidert das Gesicht.
Amy hielt ihr Stück Brot näher an das Talglicht, das der Wirt ihnen überlassen hatte. Das Brot war schimmelig und von grünen Flecken übersät, aber die Schwestern waren so hungrig, dass sie sich darüber nicht aufregten.
Amy schaute sich um, sah eine Schöpfkelle und füllte etwas von dem Hammeleintopf, der in einem Kessel über dem offenen Feuer hing, in eine Holzschale. »Hast du schon vergessen, was geschehen ist? Du hast einen englischen Friedensrichter vor den Kopf gestoßen und sein Pferd entwendet, und deswegen mussten wir in diesem grässlichen Regen nach Schottland fliehen, wo wir, so Gott will, vielleicht sicher sind.«
»Seht!« Clarice schaute sich ängstlich in dem leeren Schankraum um. »Dieser schreckliche Richter hat auf das Pferd eingeschlagen.«
Auch Amy senkte die Stimme. »Er hat auch auf seine Frau eingeprügelt, und wenn er uns erwischt, wird er uns hängen.«
»Der holt uns nicht ein.«
»Das hoffst du.« Amy nahm ihren Löffel vom Gürtel und aß mit Heißhunger von dem Eintopf. Das Essen war heiß, fettig und schmeckte ... abgestanden. Als wäre es gar kein Hammelfleisch, sondern irgendein anderes Fleisch, über dessen Herkunft sie jetzt lieber nicht nach denken wollte.
Blieb zu hoffen, dass sie davon nicht krank wurden.
Aber sie wusste , dass ihnen keine andere Wahl blieb. Sie mussten etwas essen.
Mit eindringlichem Unterton sagte sie: »Ich bin dieses dauernde Herumirren und diese Lügen leid. Und dieses furchtbare Essen kann ich auch nicht mehr sehen. Wenn wir nicht am Galgen landen , dann sterben wir an Entkräftung.«
Clarice sah sie erschrocken an. »Ich hatte ja keine Ahnung , dass du dich so fühlst.«
»Kannst du dir das nicht denken?« Wie konnte Clarice nur so schwer von Begriff sein ? Amy tunkte ein Stück von dem Brot in den Eintopf und reichte es ihrer Schwester.
»Du hast nie etwas in dieser Richtung gesagt.«
»Doch , habe ich , aber du hörst mir nicht zu.« Vielleicht hatte Amy tatsächlich nicht offen ausgesprochen , was sie dachte, aber sie war gerade nicht in der Stimmung, fair zu sein. Sie litt unter einer ständig nagenden Furcht , da sie immer wieder von einer Stadt zur anderen hatten fliehen müssen. Sie schaufelte das Essen förmlich in sich hinein und gab auch ihrer Schwester genug ab.
Wo mochte der Wirt sein? Warum war er noch nicht aus der Küche zurückgekehrt?
»Du denkst wohl , ich bin deine dumme kleine Schwester, die nichts versteht.« Amy steckte sich den Rest des Laibs in die Tasche. »Glaubst du, du musst mich beschützen ? Das brauchst du nicht. Ich muss allein in die Städte gehen, um alles vorzubereiten, wenn du mit den Cremes und Salben kommst. Ich weiß, wie man eine Anstellung findet. Ich komme schon allein zurecht. Großer Gott, Clarice, ich bin siebzehn. Genauso alt warst du, als wir aus dem Pensionat geworfen wurden!«
»Habe ich versucht, dich zu sehr zu beschützen, Amy ?« Clarices Gesicht war nicht mehr feucht vom Regen, aber nun
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