Ketten der Liebe
es ist gut, dass Sie endlich frei sind.« Nachdenklich fügte er hinzu: »Ich wusste, dass Sie früher oder später aus dem Keller fliehen würden.« Er hörte die schnellen Atemzüge Seiner Lordschaft.
»Woher wissen Sie, wer ich bin?« Der Marquess lockerte den Griff am Kragen.
»Sie sind der Einzige, der einen Grund hätte, mich umzubringen. Und das kann ich Ihnen kaum verübeln. Wir haben Ihnen ganz schön zugesetzt.«
»Kann man wohl sagen.« Lord Northcliff nahm das Knie von Poms Brust, beugte sich aber immer noch bedrohlich über ihn.
Pom gab sich nicht der Illusion hin, den Marquess leicht bezwingen zu können. Die Art und Weise, wie Lord Northcliff ihn in Schach hielt, verriet Pom allzu deutlich, dass er es hier mit einem Mann zu tun hatte, der einem guten Kampf nicht abgeneigt war. »Schlagen Sie ruhig zu, ich bin es Ihnen schuldig.«
»Sie lassen sich einfach so schlagen?« Lord Northcliff lachte leise. »Wollen Sie mir den Spaß an einem ordentlichen Kampf verderben?«
»Ich kann Sie nicht schlagen. Sie sind der Herr.«
»Aber entführen können Sie mich, wie?« Als Pom ansetzte, eine Erklärung abzuliefern, sagte Northcliff: »Nein, jetzt erzählen Sie mir nicht, dass Sie meine Seele retten wollten, denn dann müsste ich Sie wirklich schlagen, und das wäre unfair. Aber Sie können etwas für mich tun.«
»Ja, Mylord?«
»Ich habe hier einen Brief für meinen Kammerdiener.« Lord Northcliff griff in seine Tasche, holte ein versiegeltes Blatt Papier heraus und steckte es in Poms Manteltasche. »Bringen Sie ihm dieses Schreiben.«
Leichter gesagt als getan. Offenbar begriff Seine Lordschaft nicht, dass ein gewöhnlicher Fischer nicht einfach in ein Herrenhaus spazieren konnte, um einem überheblichen Diener eine Nachricht zu übergeben. Aber Pom beklagte sich nicht. Er war es dem Marquess schuldig, dessen Wünschen nachzukommen.
»Am Morgen fahren Sie nicht wie sonst zum Fischen hinaus, sondern rudern zum Festland und begeben sich zu meinem Anwesen. Dort suchen Sie Biggers, meinen Kammerdiener. Er ist ein ausgedienter Soldat, der sich früh morgens in den Pferdeställen aufhält und noch im Morgengrauen ausreitet.«
»Soll ich auf eine Antwort warten?« Allmählich wurde Pom der Rücken kalt, aber darüber konnte er sich nicht beklagen.
»Nein, aber am nächsten Morgen werden Sie mich zum Festland rudern.«
Pom sank das Herz. Niemand würde sich wundern, warum er einen Tag nichts gefangen hatte, aber wie sollte er die leeren Netze am zweiten Tag erklären? Zu mal Mertle und er keine Vorräte besaßen - sie müssten an beiden Abenden mit leeren Mägen zu Bett gehen.
»Ich werde Sie für Ihre Dienste bezahlen«, fuhr Lord Northcliff fort.
»Das wollen Sie tun?« Pom konnte sein Erstaunen nicht verbergen.
»Ja.« Der Marquess ließ ganz von Pom ab. Er griff nach seiner Hand und zog ihn hoch. »Tun Sie das, was ich Ihnen gesagt habe. Sie werden es nicht bereuen, für mich zu arbeiten.« Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, schritt der Marquess davon und verschmolz mit der Dunkelheit.
Pom musste lächeln. Vielleicht hatte die kleine Entführung doch etwas in Lord Northcliff bewirkt. Er ging weiter und war inzwischen ein wenig sicherer auf den Beinen. Das feuchte Gras und der kalte Boden hatten ihm wieder einen klaren Kopf beschert. Er fragte sich nur, was in dem Schreiben stehen mochte. Waren die Zeilen gar an den Constable gerichtet, um das ganze Dorf in Haft zu nehmen? Wenn Pom lesen könnte ... aber das hatte er nie gelernt.
Er erinnerte sich, wie er als kleiner Junge von Lady Northcliff das ABC gelernt hatte. Jeden Donnerstag war die Dame zur Insel gekommen und hatte die Kinder der Fischer unterrichtet. Wie ein Engel hatte sie ausgesehen; das dunkle Haar umrahmte ihr schönes Gesicht und betonte die freundlichen, braunen Augen. Er entsann sich der ersten Wörter, die er gelernt hatte. Lady Northcliff war so stolz auf ihn gewesen. Doch dann kam sie nicht mehr. Mit einem Mal war sie fort, und niemand hatte den Kindern der Fischer je wieder etwas beigebracht.
Was die Leute auch immer sagten, er würde wohl nie begreifen, was dieser wunderbaren Dame widerfahren war.
Er bog in den Weg ein, der zu seinem Haus führte, und nahm plötzlich einen schwachen Duft wahr, der ihm bekannt vorkam. Eine Bewegung ließ ihn innehalten, und beinahe hätte er zum Schlag ausgeholt, da er noch unter dem Eindruck des letzten Angriffs stand.
Doch dann hörte er, wie eine Frau flüsterte. »Pom? Sind Sie
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