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Kettenreaktion - Die Geschichte der Atombombe

Kettenreaktion - Die Geschichte der Atombombe

Titel: Kettenreaktion - Die Geschichte der Atombombe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hubert Mania
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Gießerei für die Linsen zwar zu einer veritablen Fabrik mit mehr als zweihundert Mitarbeitern angewachsen, aber noch immer stehen Kistiakowsky nicht genügend einwandfreie Gussstücke zur Verfügung. Und jetzt verlangt Oppenheimer auch noch zwei komplette Ausführungen des zwei Tonnen schweren Linsenarrangements. Vor dem eigentlichen Test in der Wüste von Alamogordo soll nämlich eine genaue Kopie des Dicken Mannes ohne Plutoniumkern auf den Prüfstand einer «magnetischen Beobachtung» kommen, um eindeutige Informationen über eventuelle Unvollkommenheiten der Implosionswelle zu gewinnen. Kistiakowsky hat gegen diese Idee heftig protestiert, doch Oppenheimer ist vorsichtig geworden, möchte zuvor die Generalprobe proben. Sollte Kistiakowsky am Ende als der Versager von Los Alamos in die Geschichte eingehen, weil er mehr Ausschuss als Qualität produziert hat? In dieser verzweifelten Lage kommt ihm der rettende Gedanke. Er besorgt sich einen Zahnarztbohrer [Kis:20], nimmt sich die Röntgenbilder der aussortierten Gussstücke noch einmal vor und bohrt in einer einsamen nächtlichen Aktion die schadhaften Stellen auf. Er rührt eine Paste aus Sprengstoffschmelze an, schmiert damit die Luftblasen zu und kann jetzt nur noch hoffen, dass diese aus der Not geborene und noch nie zuvor praktizierte Reparatur sein Problem gelöst hat. Über die Gefahr für sein Leben macht er sich in dieser Nacht keine Illusionen: «Ich meine, wenn einem 23 Kilogramm Sprengstoff im Schoß losgehen, wird man das kaum noch spüren» [Rho:664].
     
    Nach einer langen Trockenperiode in der Jornada del Muerto ziehen ausgerechnet jetzt tropische Luftmassen vom Golf von Mexiko über das Testgelände hinweg und kündigen heftige Gewitter an. Sollte es am 16. Juli regnen, müsste der Test verschoben werden, weil Regen und Wind den erwarteten radioaktiven Fallout in unverantwortlich hoher Konzentration auch in die nahe gelegenen Städte tragen und in den Boden spülen könnten. Bainbridge stellt Militärpolizisten und Fahrzeuge bereit – zur Evakuierung der Wohngebiete und Einzelgehöfte im Ernstfall. Am Donnerstag, dem 12. Juli, setzt sich um sieben Uhr morgens ein bewachter Konvoi in Bewegung und bringt eine leichte und unscheinbare Fracht von Los Alamos in die Alamogordo-Wüste. Eine apfelsinengroße Kugel liegt in einem stoßsicheren, mit Gummipuffern gepolsterten schwarzen Köfferchen auf dem Rücksitz einer Armeelimousine. Sie hat inzwischen noch eine Schicht aus Nickel als Korrosionsschutz bekommen. Cyril Smith, der Leiter der Metallurgie, gibt den Schatz nur ungern aus der Hand, denn unter dem Nickelbelag haben sich Blasen gebildet, Smith mag daher für die Passgenauigkeit der Halbkugeln keine Garantie mehr geben [Ber:135]. Dieses unvorhergesehene Malheur könnte bei der Implosion zum vorzeitigen Feuern der Neutronenquelle führen. Smith bereitet alles vor, um auf dem Trinity-Gelände letzte Eingriffe an der Plutoniumkugel durchzuführen. In einer anderen Limousine des Konvois sitzen die Physiker Philip Morrison, Boyce McDaniel und ein Kollege. Morrison hat die Neutronenquelle für den Trinity-Test bei sich sowie eine Attrappe, die nicht vom Original zu unterscheiden ist.
    Um sich die lange Fahrt in den Süden zu verkürzen, spielt er mit seinen Kollegen das Hütchenspiel auf dem Rücksitz, vertauscht mit flinken Fingern die beiden Kugeln und lässt die Kollegen raten, welche die «scharfe» Kugel ist. McDaniel atmet erleichtert auf, als er begreift, dass Morrison sie erfühlen kann, denn da das Polonium rasend schnell Alphateilchen ausstrahlt, fühlt sich die Kugel warm an, während die Attrappe kühl bleibt [McD:42]. So besteht keine Gefahr, dass die Mogelpackung in die Trinity-Bombe gerät.
    Oberleutnant Richardson hat, genau wie die anderen zum Schutz des Konvois abkommandierten Soldaten, keine Ahnung, was da auf die Reise geht. Er soll nur die Kiste nicht aus den Augen verlieren, sie Kenneth Bainbridge aushändigen und sich die Übergabe quittieren lassen. Morrison fürchtet sich offenbar weniger vor der Strahlung des Poloniums als vor den Fahrkünsten der Frau am Steuer. Seine Fahrerin gilt auf unwegsamem Gelände als die verwegenste Chauffeurin von Los Alamos [Mor].
    Während das Herz des Dicken Mannes gut gepolstert durch die Wüste geschaukelt wird, bauen Norris Bradbury als Leiter der Bombenmontage und seine Assistenten die 96 Sprengstofflinsen in den Trinity-Behälter ein. Das ursprüngliche Design der Implosionsbombe, die

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