Kettenreaktion - Die Geschichte der Atombombe
Weltöffentlichkeit Verantwortung und Schuld der Physiker diskutieren. Der «Franck-Report» empfiehlt im Juni 1945 eine Demonstration der Atomwaffe vor Vertretern aller Nationen in einer Wüste oder auf einer verlassenen Insel. Von ihrem Einsatz in Japan ohne vorherige Warnung der Bevölkerung rät er dringend ab.
Kapitel 12
TRINITY
Anspruchsloses graugrünes Mesquitegestrüpp mit fingerlangen Dornen, seltene Kakteenarten und Yuccagewächse, die ihre Blätter wie ein Bündel scharfer Klingen in den Himmel stechen, prägen die Steppe zwischen dem Rio Grande und den San-Andres-Bergen. In dieser Einöde haben Wind und Trockenheit dem Boden zugesetzt. Die fruchtbare Krume ist längst verweht, das Ackerland verdorrt, die wenigen Quellen sind meist versiegt, und die Menschen haben die staubige Gegend verlassen. Seit Jahrhunderten heißt dieser trostlose Landstrich, hundert Kilometer nordwestlich der neumexikanischen Kleinstadt Alamogordo, Jornada del Muerte – «Reise des toten Mannes» oder «Tödliche Route». Auf diesem Weg kamen die ersten spanischen Missionare und Siedler aus Mexiko ins Landesinnere. Die 150 Kilometer lange Jornada führte durch Apachengebiet und erwies sich für die Pioniere als gefährlichster Abschnitt der Reise nach Santa Fé: Wassermangel, Indianerhinterhalte und kein Weidegras für die Pferde.
Fast dreieinhalb Jahrhunderte später sitzt ein moderner Pionier auf einer verlassenen Ranch mitten in dieser Steppe und kann sich nicht erinnern, jemals so sehnsüchtig auf etwas gewartet zu haben wie auf seine drei Kilometer Gartenschläuche. Sie gingen bei einem Hafenarbeiterstreik verloren und sind nun nachbestellt worden [www 6 :36]. Auf dem Gelände, das Kenneth Bainbridge für den Test der Plutoniumbombe ausgesucht hat, soll allerdings nichts bewässert werden. Sein Team von 250 Leuten hat schon fast 800 Kilometer Kabel verlegt. Aber an ein paar sensiblen Stellen sollen Elektroleitungen, Telefon- und Zündkabel von Gartenschläuchen umhüllt und eingegraben werden. Nach dem Test mit den hundert Tonnen TNT hat Bainbridge General Groves überzeugen können, in einer Blitzaktion dreißig Kilometer neue Asphaltstraßen zu bauen, um den Albtraum vom Achsenbruch des Transporters, der den Dicken Mann über die holperige Wüstenpiste chauffiert, nicht wahr werden zu lassen. Außerdem dringt der von den Armeejeeps aufgewirbelte Sand und Lehmstaub in die Seismographen und Geigerzähler ein und erhöht die Gefahr, das der Versuch scheitern könnte. Der Testleiter hat Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, damit die Piloten der Air Force das beleuchtete Camp aus Zelten und Baracken nicht wieder mit einem Übungsziel für ihre Bombenabwürfe verwechseln. Die eigentlichen Übungsziele sind dreiseitige Pyramiden aus Holz, die an allen Ecken mit Glühbirnen versehen sind, damit auch Nachtflüge trainiert werden können [Bai 1 :46]. Bainbridge weiß zwar, dass sein Testgelände zum militärischen Sperrgebiet Alamogordo Bombing Range gehört, aber mit friendly fire von übermotivierten Prüflingen hatte er nicht gerechnet. Im Mai ist es bei einer Abschlussprüfung von Bomberpiloten zu einem versehentlichen Beschuss gekommen. Dabei schlug eine Bombe in die Werkstatt der Zimmerleute ein, in der sich glücklicherweise niemand aufhielt. Eine zweite Bombe setzte einen Schuppen in Brand.
Drei Kilometer nordwestlich der Ranch von David McDonald hat Bainbridge den Detonationsnullpunkt bestimmt. Hier errichten Monteure gerade einen stählernen Turm, der dreißig Meter hoch werden soll. Die Betonfundamente für die vier Füße reichen sechs Meter tief in die Erde. An der Spitze des Turms soll eine Plattform aus den gleichen schweren Eichenbalken gebaut werden, die beim TNT-Test schon auf so überzeugende Weise in einen weniger kompakten Zustand übergegangen sind. Eine elektrische Schwerlastwinde soll den Dicken Mann auf seinen Tanzboden hochhieven.
In rund neun Kilometern Entfernung vom Turm über point zero sind an drei Orten in nördlicher, westlicher und südlicher Richtung Erdbunker gebaut worden. Ihre Decken sind ebenfalls aus Eichenbalken gezimmert, aber zusätzlich mit einer Betonschicht verstärkt. Im westlichen Bunker sollen eine Batterie Scheinwerfer und einige der Messinstrumente installiert werden, die die Stärke der Explosion, die Neutronen- und Gammastrahlung, vor allem aber die noch unbekannten Prozesse der Implosion aufzeichnen sollen. Der Stahlbetonbunker im Norden hat runde Fenster aus
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