Kettenreaktion - Die Geschichte der Atombombe
bald über einer japanischen Stadt aus dem Bombenschacht einer B-29 fallen soll, ist gut drei Meter lang und ähnelt einem Hühnerei mit quadratischer Schwanzflosse. Der hier vor ihnen stehende Apparat ist hingegen nahezu kugelförmig. Er braucht keine aerodynamische Gestalt, weil er nicht durch die Luft fliegen muss. Die Gussstücke werden so arrangiert, dass zunächst eine Halbkugel von eineinhalb Metern Durchmesser mit einer Öffnung in der Mitte entsteht. Eine Kugel aus natürlichem Uran wird an einer Winde herabgelassen und in die Öffnung eingefügt. Als am späten Abend des 12. Juli auch die übrigen Sprengstoffblöcke zur oberen Halbkugel zusammengebaut sind, stehen George Kistiakowsky und Norris Bradbury noch immer vor der Bombe und verkleben die Öffnungen für die Sprengkapseln auf rustikale Art mit scotch tape , weil für eine Schönheitsoperation mit einem abreißbaren Kunststoffüberzug keine Zeit mehr ist [www 6 :46]. In eine wasserdichte Hülle und in eine Transportkiste aus Kiefernholz verpackt, wird der Prototyp der Atombombe auf einen Armeelaster gehievt, festgeseilt und mit einer Plane bedeckt. Ein zweites Team aus Kistiakowskys Abteilung montiert zeitgleich die getreue Kopie – eine sogenannte «chinese copy». Sie soll die magnetische Generalprobe bestehen.
In Zusammenarbeit mit einer anderen technischen Abteilung haben Mitarbeiter Kistiakowskys neuartige Zünder mit einer nie zuvor erreichten zeitlichen Präzision entwickelt. Um sie synchronisieren zu können, was für den Implosionsprozess unerlässlich ist, haben sie ein neues elektronisches Gerät gebaut – die sogenannte X-Einheit. Einer der Entwickler ist der 25-jährige Physikochemiker Dr. Donald Hornig von der Harvard University. Er hat ein solches Exemplar zum Testgelände geschafft und es auf den Turm über dem Nullpunkt gebracht. Die Ingenieure können sich nun mit dem neuen Gerät vertraut machen und ihre Instrumente darauf abstimmen. Am Nachmittag zieht ein Gewitter auf, sodass alle überstürzt den Turm verlassen. Unvermittelt feuert die X-Einheit los. Jeder stellt sich vor, was passiert wäre, wenn das kaum erprobte Gerät bereits mit den Zündern der Bombe verbunden gewesen wäre. Man macht Hornig für die Panne verantwortlich. Doch schon bald ist die Ursache gefunden: Irgendjemand hat wohl in der Hektik das Erdungskabel aus der X-Einheit gezogen, sodass die Blitze den Apparat statisch aufgeladen haben müssen [Kis:20].
Kenneth Bainbridge glaubt, sich verhört zu haben. Ist er denn nur von Kindsköpfen umgeben? Gerade erst hat Don Hornig mit seiner Höllenmaschine alle hier im Camp in Aufruhr versetzt, und jetzt drückt ihm dieser junge, schlaksige Soldat ein schwarzes Köfferchen in die Hand und verlangt dafür eine – Quittung? Doch, er hat richtig gehört. Obwohl Oberleutnant Richardson nicht weiß, was er da eigentlich in der Hand hält, scheint er sich nicht wohl in seiner Haut zu fühlen und wünscht sich offenbar nichts sehnlicher, als die Verantwortung dafür abgeben zu können. Was denken sich diese Bürokraten nur für einen Schwachsinn aus, flucht Bainbridge vor sich hin [www 6 :46] und schickt die Limousine aus Los Alamos ein paar Kilometer weiter direkt zum Wohnhaus der McDonald-Ranch, wo der Bombenkern zusammengebaut werden soll. Dort liefert Philip Morrison auch die Neutronenquelle ab. Der brave Soldat Richardson wird endlich sein Köfferchen los und bekommt auch seine Quittung ausgestellt. Brigadegeneral Thomas Farrell, der Stellverteter von Leslie Groves, unterschreibt die Empfangsbestätigung.
Am Freitagmorgen, dem 13. Juli, ist die Montagecrew im Farmhaus um einen einfachen Tisch versammelt, auf dem braunes Packpapier ausgebreitet ist. Die Fenster sind mit schwarzem Isolierband abgeklebt, um den Staub der Welt nicht in den Kern der Bombe eindringen zu lassen. Auf dem Tisch liegen das silbergraue Poloniumkügelchen, die beiden im Nickelüberzug schimmernden Halbkugeln aus Plutonium und verschiedene Teile aus pflaumenblauem Uranmetall. Die Männer gönnen sich den ganzen Vormittag und den halben Nachmittag, um alles sorgfältig zusammenzufügen. Farrell lässt es sich nicht nehmen, die Halbkugeln noch einmal in den Händen zu wiegen: «Sie fühlten sich warm an wie ein lebendiges Kaninchen» [Rho:667]. Nun rückt auch endlich Metallurge Cyril Smith den Blasen in der Nickelhaut mit Ringen aus gefalteter Goldfolie zu Leibe und schließt damit die winzige Lücke zwischen den Hemisphären. Die
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