Kettenreaktion - Die Geschichte der Atombombe
kugelsicherem Glas. Dahinter werden Hochgeschwindigkeitskameras stehen, die die Explosion mit bis zu 8000 Bildern pro Sekunde festhalten sollen. Und im südlichen Bunker soll das Kontrollzentrum für den Test eingerichtet werden.
Robert Oppenheimer hat im Herbst 1944, als die Entscheidung zugunsten der Jornada als Versuchsgelände fiel, einen Decknamen für den Test gefunden: Trinity, was Dreifaltigkeit bedeutet. Er habe zu dieser Zeit häufig an ein Sonett von John Donne denken müssen, erzählt er General Groves, das mit der Bitte des Dichters an den dreifaltigen Gott beginnt, ihn zu verbrennen und neu zu erschaffen.
Die Klangverwandtschaft zwischen Trinity und TNT ist nicht zu überhören. Die Sprengkraft von TNT gilt als Referenzeinheit für die Energiefreisetzung in allen Sprengstoffen. TNT ist allgegenwärtig in Los Alamos. Oppenheimer hat ständig mit Trinitrotoluol zu tun. Nun sind die Physiker begierig darauf, den Dicken Mann auch endlich mit TNT aufzuwiegen.
Das Leben im Camp auf dem Trinity-Gelände, 320 Kilometer südlich von Los Alamos, ist von langen Arbeitstagen geprägt, seit der Testtermin bekannt ist. Präsident Truman selbst ist an der Terminabsprache beteiligt gewesen. Er hat eine wichtige Konferenz absichtlich auf den 15. Juli verschoben, um Oppenheimer genügend Zeit zur Zündung der ersten Atombombe zu geben [She:193]. General Groves setzt daraufhin den 16. Juli 1945 als Testtermin fest. An diesem Wendepunkt der Geschichte also wird Truman in Potsdam mit Churchill und Stalin über die Zukunft Deutschlands und Europas beraten – eine Begegnung der drei mächtigsten Männer der Erde: «Die Großen Drei», wie sie genannt werden, die weltliche Trinität schlechthin. Der amerikanische Präsident will in Potsdam telefonisch über das Ergebnis des Trinity-Tests informiert werden. Er behält sich vor, seinen ehemaligen Verbündeten und neuen Gegenspieler Stalin mit der Nachricht von der Zündung einer neuen, mächtigen Waffe zu überraschen.
Die 250 Soldaten und Pioniere auf dem Testgelände haben Baracken und Erdbunker gebaut, ein umfassendes Kommunikationsnetz gesponnen, Generatoren installiert, Brunnen gegraben und Pumpen angeschlossen – und das alles nur für den einen großen Knall. Oberleutnant H. C. Bush, der militärische Befehlshaber des Camps, lobt die vorbildliche Disziplin und die angeblich großartige Stimmung unter seinen Männern. George Kistiakowsky gewinnt bei einem Besuch im Camp einen ganz anderen Eindruck. Frühmorgens klopfen die Männer erst einmal laut fluchend ihre Khakiuniformen aus und schütteln ihre Stiefel, um verirrte giftige Skorpione und Taranteln aufzuspüren. Das Hauptquartier von Kenneth Bainbridge beschreibt der Sprengmeister als ein paar heruntergekommene Schuppen. Auch die neuen Baracken böten keinerlei Bequemlichkeiten. Statt Fenstern sind nur Löcher in den Wänden, durch die der nie nachlassende Wind pfeift. «Manchmal fliegt auch eine Krähe herein, landet vor deinem Bett und starrt dich an» [Hen:1‘35‘‘].
Die Männer dürfen aus Geheimhaltungsgründen das Lager nicht verlassen und sind sauer, dass Leslie Groves ihnen nicht einmal etwas Abwechslung in den Bars von San Antonio und Carrizozo gönnt. Aber hier, am point zero, «duldet der General nichts, was seinen Vorstellungen von Luxus zu nahekommt» [Kis:19]. Die einzigen Vergnügungen der Trinity-Mannschaft sind das abendliche Pokerspiel und die Pflege der «Haustiere». Einer der Männer zähmt eine Krähe und trägt sie stolz auf seinen Schultern durchs Camp. Einige bringen streunende Hunde aus der Wüste mit, andere packt die Sammelleidenschaft: Sie fangen im Team Klapperschlangen und bauen Käfige für sie. Bei bestimmten Tieren aber hört die Liebe auf, weil sie einfach zu gut schmecken. Eine Antilopenherde in der Steppe wird regelmäßig von Männern mit Maschinenpistolen im Armeejeep verfolgt, um den Speiseplan mit frischen Steaks zu bereichern.
Otto Hahn atmet erleichtert auf, als der englische Kommandeur ihm verspricht, Notenblätter für Mozart-Sonaten aufzutreiben. Werner Heisenberg ist momentan so sehr in das fünfte Klavierkonzert von Ludwig van Beethoven verschossen, dass seine neun Schicksalsgenossen mit resignierten Gesten reagieren, wenn er sich jeden Abend ans Klavier setzt und mit der virtuosen Kadenz des Allegro die Kulturstunde eröffnet. Seit dem 3. Juli sind mit ihm Paul Harteck, Max von Laue, Carl Friedrich von Weizsäcker, Walther Gerlach, Kurt Diebner,
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