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Kettenreaktion - Die Geschichte der Atombombe

Kettenreaktion - Die Geschichte der Atombombe

Titel: Kettenreaktion - Die Geschichte der Atombombe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hubert Mania
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sich in Gegenwart schwerer Objekte als erstaunlich biegsam erweist. Und diese Krümmung der Raumzeit hat er als die eigentlich anziehende Wirkung der Gravitation erkannt. Er hat bewiesen, dass bewegte Uhren langsamer gehen als fest installierte und jeder Klumpen Materie als Energiequelle betrachtet werden kann. Vor allem aber hat er den Blick auf die großen Strukturen im Universum grundlegend verändert und neue Gesetze für die Bewegungen der Planeten formuliert. Der Jüngere wiederum hat ein erstes vielversprechendes Berechnungsschema für die Welt der kleinsten Teilchen gefunden. Seinem Freund Wolfgang Pauli hat er nach der Rückkehr aus Helgoland in drastischen Worten sein wichtigstes Anliegen beschrieben: «Meine ganzen kümmerlichen Bestrebungen gehen dahin, den Begriff der [Elektronen]Bahn, die man doch nicht beobachten kann, restlos umzubringen und geeignet zu ersetzen» [Pau 1 :231]. Und so konzentriert er sich nach diesem Erstschlag ausschließlich auf die tatsächlich messbaren Größen. Diese Haltung aber ist ein Affront gegen Einsteins tiefste Überzeugungen. Dessen Fähigkeit, das Ungewöhnliche zu denken, lässt eigentlich auf ein großzügig dimensioniertes Bewusstsein schließen. Dennoch verteidigt er die klassische Physik eifersüchtig gegen die Göttinger Quantenmechanik. Einstein hält sie für ein vorübergehendes, unvollständiges Modell der atomaren Welt und hofft auf eine zuletzt doch noch klassisch geprägte Lösung.
    Der Meister des Makroskopischen liefert sich mit dem Meister des Mikroskopischen einen Schlagabtausch, wobei völlig offenbleibt, wer hier eigentlich wem eine Audienz gewährt oder wer als Sieger aus dem Disput hervorgeht. Die beiden Spaziergänger haben die derzeit besten Theorien über kosmische Großstrukturen und das unvorstellbar Kleine entworfen – vom abgelenkten Licht eines fernen Sterns bis zur gelben Spektrallinie des Heliumatoms. Wird sich das Große jemals mit dem Kleinen in einer Theorie vereinen lassen?
     
    Der zehnjährige Carl Friedrich von Weizsäcker ist offenbar hochbegabt und wild entschlossen, seine kindliche Leidenschaft für die Astronomie zum Beruf zu machen. Als Beweis seiner Ernsthaftigkeit schenkt er der Mutter ein selbstverfasstes Gedicht [Sca 2 ]:
Wenn ich hätt’ genügend Geld,
um zu leben sicher,
würd’ am liebsten auf der Welt
ich ein Sternkundicher .
    Die Eltern abonnieren daraufhin eine populäre Astronomiezeitschrift für ihren Sprössling, und bald stellt sich heraus, dass sein Interesse keine schnell verglühende Sternschnuppe ist. Das Jahr 1927 erlebt er als Vierzehnjähriger mit seinen Eltern fern der deutschen Heimat. Der Vater ist Diplomat in der Deutschen Botschaft in Kopenhagen. Zu diesem Zeitpunkt beschäftigt sich Carl Friedrich bereits mit Bohrs Planetenmodell des Atoms und skizziert eigene Antworten auf die Frage, warum im Atom andere Naturgesetze gelten müssen als in der Welt, die er mit seinen Sinnen wahrnehmen kann. Doch der Rücksturz aus den großzügig ausschwingenden Umlaufbahnen seiner Vorstellungskraft in die Niederungen des Alltags ist für den pubertär launischen Charakter mit gehörigem Verdruss verbunden. Alles findet er «grässlich»: die Lehrer, die oberflächlichen Mitschüler. Eigentlich alle Menschen. Eigentlich alles. Die Mutter ist verzweifelt. Sie fühlt das Unglück ihres Sohnes und weiß keinen Rat.
    Die Soiréen im Haus der Weizsäckers gehören zum diplomatischen Geschäft und sind Routine. Doch in diesen ersten Wochen des Jahres 1927 sind es Abschiedsfeiern für Freunde und Vertraute. Denn die Weizsäckers werden Dänemark verlassen und nach Genf gehen. Eines Abends ist auch Werner Heisenberg zu Gast, der mit dem dänischen Nationalhelden Niels Bohr zusammen gerade die tragenden Säulen der neuen Quantenmechanik errichtet. Marianne von Weizsäcker hat ihn auf einem Empfang kennengelernt und sich für sein virtuoses Klavierspiel begeistert. Einer Eingebung folgend, setzt sie Carl Friedrich neben den berühmten Physiker an die Speisetafel. Vielleicht, so hofft sie, findet ihr Sohn diesen stets gute Laune versprühenden Gast ja weniger grässlich als den Rest der Welt. Der Junge weiß aus eigener Lektüre besser als seine Mutter, dass er hier neben dem Mann sitzt, der den Gesetzen der atomaren Welt gerade auf der Spur ist.
    Als die Gäste gegangen sind, strahlt Carl Friedrich seine Mutter an: «Das war der schönste Tag meines Lebens!» [Bay]. Und vielleicht sei die Astronomie doch nicht so spannend

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