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Kettenreaktion - Die Geschichte der Atombombe

Kettenreaktion - Die Geschichte der Atombombe

Titel: Kettenreaktion - Die Geschichte der Atombombe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hubert Mania
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Größen» hergestellt werden. Mit dieser klaren Absage an die klassische Mechanik kündigt Werner Heisenberg am 29. Juli 1925 in der Zeitschrift für Physik sein epochales Werk an. Seine neue Physik ist auf einer hochkomplizierten Mathematik gegründet. Heisenberg hat sie mit großartigem physikalischen Einfühlungsvermögen in seiner Helgoland-Klausur zwar spontan selbst entdeckt, Max Born jedoch erkennt sie wieder als einen hundert Jahre alten, wenig bekannten Zweig der Mathematik, der sich «Matrizenrechnung» nennt. In einer Matrix sind Zahlen tabellenartig in Zeilen und Spalten angeordnet, die nach bestimmten Regeln miteinander verknüpft werden können. Mit seinem neuen Assistenten Pascual Jordan baut Born nun in wenigen Wochen Heisenbergs Ansatz zu einer systematischen Theorie der Quantenmechanik aus.
    Zu Heisenbergs gewöhnungsbedürftiger Mathematik gehört auch eine seltsame Multiplikationsregel, die die Unumkehrbarkeit der Faktoren vorschreibt. Bei einer normalen Multiplikation zweier Zahlen spielt deren Reihenfolge natürlich keine Rolle. 3 × 4 sind 12, und 4 × 3 sind ebenfalls 12. Auch in den Zeilen und Spalten der Quantenmatrizen stehen zweifellos Zahlen. Aber sie verschlüsseln reale Übergänge von einem atomaren Zustand in einen anderen. Die Zahlen repräsentieren also physikalische Ereignisse, bei denen Quanten ausgetauscht werden. Und deren Reihenfolge ist entscheidend beim atomaren Energieumsatz. In Heisenbergs Universum kommt es also sehr wohl darauf an, in welcher Reihenfolge zwei Zahlen miteinander multipliziert werden: «Konkret formuliert, kommt etwas anderes heraus, wenn zuerst die Energie eines Atoms und dann der Zeitpunkt bestimmt wird, der dazugehört, oder wenn umgekehrt zuerst die Zeit festgelegt und erst danach die Energie gemessen wird, die zur Verfügung steht» [Fis 2 :70   f.]. Musste man in der «alten» Quantentheorie bis vor kurzem noch die Planck’sche Konstante umständlich in die Rechnungen einfügen, so ergibt sie sich jetzt mit Hilfe der Matrixalgebra auf einmal wie von selbst und ohne äußeren Zwang. Das ist die wohl überzeugendste «Zugabe» der komplizierten Mathematik.
    Doch die Physikergemeinde tut sich schwer mit Heisenbergs neuem Ansatz. In der deutschen Hauptstadt stimmen Planck und Einstein, als Pianist und Geiger in bewährter Hausmusikharmonie einander herzlich verbunden, auch in ihrer Bewertung des Heisenberg’schen Tricks überein. Sie wollen unerhörte Missklänge im Werk des ungestümen Quantenkünstlers wahrgenommen haben. Vielleicht fühlen sich die Musikliebhaber beim Studium des Heisenberg’schen Artikels an die Neutöner Schönberg und Hindemith erinnert, die man vielleicht respektiert, aber nie freiwillig hören würde. Da haben also die beiden Grandseigneure der Physik zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Quantenrevolution angezettelt. Und nun verderben ihnen die Nachwuchsrevoluzzer zunehmend die gute Laune. Über Heisenbergs historische Tat macht Einstein sich mit seinem typischen gutmütigen Spott lustig. Ein «Quantenei» habe der da gelegt, das im mathematikverliebten Göttingen offenbar als der Weisheit letzter Schluss gelte. Damit möge man ihn bitte verschonen. Er selbst könne jedenfalls auf Heisenbergs unzumutbare Matrizenrechnung dankend verzichten.
    Selbstverständlich wird Heisenberg, der mit 24 Jahren schon Weltruf genießt, im April 1926 zum Mittwochs-Kolloquium nach Berlin eingeladen – vielleicht sollte man besser sagen: zitiert –, um die versammelte Physikerelite auf den neuesten Stand zu bringen. Und auch bei diesem eigensinnigen Gast lässt es sich Einstein nicht nehmen, ihm auf einem Spaziergang zu seiner Wohnung die Hölle heiß zu machen. Doch Heisenberg schlägt sich tapfer im Dialog mit dem berühmtesten Physiker der Welt. Hier begegnen sich zwei Persönlichkeiten, deren wissenschaftliche Kreativität eine starke musische Komponente hat. Ihre Erfolge haben sie nicht nur überragender Intelligenz, sondern gleichermaßen künstlerischer Intuition zu verdanken. Ihr sind sie trotz aller Kollegenkritik gefolgt. So hat sich Heisenberg auf Helgoland vom «ästhetischen Wahrheitskriterium» mathematischer Formen leiten lassen, die sich durch «große Einfachheit und Schönheit» [Hei 2 :86] auszeichneten. Diese Formulierung könnte auch von Einstein selbst stammen, der stets von dieser ästhetischen Komponente seiner Arbeit gesprochen hat.
    Der 22 Jahre ältere Einstein hat Raum und Zeit zu einer Einheit verknüpft, die

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