Ketzer
französischen Stil vom Anfang des Jahrhunderts und ganz eindeutig einst ein teures Stück gewesen. Vorsichtig blätterte ich darin herum. Die Seiten waren reich illustriert; in leuchtenden Kobaltblau-, Rot- und Goldtönen, die Ränder wiesen ein kunstvolles Muster aus Blättern, Blumen und Schmetterlingen auf einem schlüsselblumengelben Hintergrund auf.
»Hier.« Jenkes nahm mir das Buch aus der Hand und schlug eine Seite auf, auf der sowohl der Text als auch das zugehörige Bild mit einem scharfen Gegenstand, vermutlich einem Messer oder einem Stein, attackiert worden waren. Das Bild war weitgehend intakt geblieben, es zeigte einen knienden Thomas Beckett, der vor seinem Altar erstochen wurde. Sein Gesicht war allerdings verschwunden, genau wie das Gebet darunter, von dem nur noch schwache Spuren zu erkennen waren.
»Ist das nicht eine Schande?«, bemerkte Jenkes. »Die Ausgabe gehörte einst König Henry, vor fast fünfzig Jahren, aber solche Bücher gelangen oft in meine Hände. Zumeist sind dann alle Heiligenbilder sorgsam herausgeschnitten oder ausradiert worden. Wenn ich es restaurieren kann, wird es in Frankreich einen guten Preis erzielen. Gott, ich hasse es, ein Buch nur um der Laune eines häretischen Prinzen willen so verschandelt zu sehen! Dem Vater eines weiteren häretischen Bastards!« Er zog bei seinen letzten Worten die Lippen zurück, sodass seine braunen Zähne zum Vorschein kamen, und strich mit seinen langen weißen Fingern über die Seite, als wolle er sie trösten. Diese Zurschaustellung seiner Liebe zu seinen Büchern trug allerdings nicht dazu bei, mir Jenkes sympathischer zu machen.
»Werdet Ihr mich jetzt wegen meiner aufrührerischen Worte melden, Doktor Bruno?« Er lächelte sein dünnes Lächeln, ohne den Blick von mir zu wenden. »Ich habe ja keine Ohren mehr, die ich verlieren könnte.«
»Ich pflege keinen Mann wegen seiner Worte zu melden«, erwiderte ich ruhig, dabei hielt ich seinem Blick unverwandt stand, um ihm zu zeigen, dass er mir keine Angst einjagte. »Ich bin in dieses Land gekommen, um frei denken, sprechen und schreiben zu können – und ich nehme an, dass sich jeder Bürger hier dasselbe wünscht.«
»Aber worüber wollt Ihr denn frei schreiben?« Bernard stieß sich von der Wand ab, ließ die Arme sinken und musterte mich mit seinen wässrigen Augen.
»Über alles, worüber es mir beliebt«, gab ich zurück. »Das nennt man Freiheit, nicht wahr?«
Jenkes legte das Stundenbuch behutsam neben die kleinen Messer und Gerätschaften, die er zu seiner Restaurierung brauchte, auf die Bank zurück. Als ich sah, wie er mit seinen Werkzeugen hantierte, kam mir der Gedanke, dass ein Buchbindermesser sicherlich scharf genug war, um einem Mann die Kehle durchzuschneiden.
»Schickt Ihr viele Bücher nach Europa, um sie dort zu verkaufen
?« Ich deutete auf das Stundenbuch und bemühte mich dabei, möglichst beiläufig zu klingen. Aber Jenkes entging mein Interesse nicht, er hob den Kopf und wechselte erneut einen Blick mit Bernard.
»Manchmal stoße ich auf ein Buch, dessen Besitz einen Mann in diesem Land ins Gefängnis bringen kann – oder Schlimmeres.« Er rieb mit dem Daumen über seine Unterlippe. »Dann finde ich Käufer in Übersee. Aber ich habe auch in Oxfordshire und London keinen Mangel an Kunden. Es sind zumeist Männer wie Ihr, die es nicht hinnehmen, dass Bücher verboten werden; Männer, die der Überzeugung sind, Gott habe uns genug Verstand und Urteilsvermögen geschenkt, um selbst zu bestimmen, was wir lesen und was nicht, und die bereit sind, für den Erwerb von Wissen Risiken einzugehen.« Er lachte leise und sah wieder zu Bernard hinüber. »Ihr hattet recht, William. Doktor Bernard sagte mir, Ihr würdet Euch besonders für seltene Bücher interessieren, vor allem für solche, die als verloren gelten.«
Bernard hatte seinen Platz am Feuer wieder eingenommen und stand regungslos an der Wand, nur um seine Lippen spielte der Hauch eines Lächelns. Natürlich – er war während der großen Säuberungsaktion, im Rahmen derer die Behörden versucht hatten, sämtliche ketzerischen Texte vor dem Zugriff junger, leicht beeinflussbarer Männer zu bewahren, der Bibliothekar des Lincoln gewesen. Mein Abt in San Domenico hatte damals gleichfalls versucht, all diese Werke zu vernichten.
»Ich spüre, dass Ihr mir eine Frage stellen wollt, Doktor Bruno.« Jenkes legte den Kopf schief.
»Die Bücher, die in den Universitätsbibliotheken beschlagnahmt worden
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