Ketzer
keine Antwort
auf meine Frage. Ich fragte Euch nach Eurer Religion. Seid Ihr im Herzen Papist oder Protestant?«
Ich zögerte.
»Euer Ehren haben bereits darauf hingewiesen, dass beide Seiten nicht viel von mir halten.«
»Soll das heißen, Ihr gehört keiner der beiden Seiten an? Seid Ihr ein Atheist?«
»Ehe ich darauf antworte, wüsste ich gern, welche Konsequenzen meine Antwort haben könnte.«
Das entlockte ihm ein Lächeln. »Dies ist kein Verhör, Bruno. Ich möchte nur Eure Philosophie verstehen. Sprecht offen mit mir, dann spreche ich ebenso offen mit Euch! Deswegen schlendern wir hier auch zwischen den Bäumen umher, wo uns niemand belauschen kann.«
»Dann versichere ich Euch, dass ich nicht das bin, was man gemeinhin unter einem Atheisten versteht«, erwiderte ich, dabei hoffte ich inbrünstig, dass ich mir nicht gerade mein eigenes Grab schaufelte. »In Frankreich und hier bei der französischen Botschaft bezeichne ich mich als Katholiken, um Schwierigkeiten aus dem Weg zu gehen. Aber ich will ganz ehrlich zu Euch sein. Ich betrachte mich weder als Katholiken noch als Protestanten – diese Begriffe sind für mich zu eng gesteckt. Ich glaube an eine größere Wahrheit.«
Walsingham hob eine Braue.
»Eine größere Wahrheit als den christlichen Glauben?«
»Eine antike Wahrheit, von der der christliche Glaube eine später erfolgte Interpretation ist. Eine Wahrheit, die – falls sie in unserem begriffsstutzigen Jahrhundert richtig ausgelegt werden würde – die Menschen erleuchten und den ständigen blutigen Zwistigkeiten ein Ende setzen könnte.«
Eine bedeutungsschwangere Stille trat ein. Die Sonne stand jetzt tief am Himmel, die Luft im Schatten der Bäume wurde merklich kühler. Die hereinbrechende Dämmerung animierte die Vögel zu noch lauterem Gezwitscher. Walsingham schritt weiterhin auf dem Gras auf und ab. Die Schulterpartie seines
schwarzen Wamses war mit von den Ästen über uns heruntergeschwebten weißen Blütenblättern übersät.
»Glaube und Politik sind heutzutage ein und dasselbe«, fuhr er endlich fort. »Vielleicht war das schon immer so, aber in unserem von Problemen geschüttelten Land scheint es neue Extreme erreicht zu haben, findet Ihr nicht? Die Religion eines Mannes sagt weit mehr über seine politische Loyalität aus als sein Geburtsort oder seine Sprache. In diesem Reich gibt es zahlreiche wackere Engländer, die Rom eine weit größere Liebe entgegenbringen, als Ihr es tut, Bruno – eine weit größere Liebe als die zu ihrer eigenen Königin, um genau zu sein. Doch letztendlich ist Glaube nicht reine Politik, sondern vor allem eine Angelegenheit des persönlichen Gewissens eines Menschen und der Art, wie er sich vor Gott verantwortet. Ich habe im Namen Gottes Dinge getan, für die Er mich am Tag des Jüngsten Gerichts zur Rechenschaft ziehen wird.«
Er drehte sich um und sah mich bekümmert an. Als er weitersprach, klang seine Stimme ruhig und ausdruckslos.
»Ich habe daneben gestanden und zugesehen, wie einem Mann auf meinen Befehl hin sein noch zuckendes Herz aus dem Leib gerissen wurde. Ich habe Männer kaltblütig verhört, während ihnen unter der Streckfolter die Glieder aus den Gelenken gezerrt wurden, und dieses Geräusch allein reicht schon aus, um Euch den Inhalt Eures Magens in die Kehle steigen zu lassen. Ich habe das Rad sogar eigenhändig gedreht, wenn die Geständnisse, die ich erwartete, nicht für die Ohren der professionellen Folterknechte bestimmt waren. Ich habe gesehen, wie menschliche, nach dem Ebenbild Gottes geschaffene Körper bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt wurden. Und ich habe meinen Mitmenschen all diese Qualen zugefügt, weil ich geglaubt habe, dadurch ein noch größeres Blutvergießen vermeiden zu können.«
Er fuhr sich mit einer Hand über die Stirn und nahm sein ruheloses Umherwandern wieder auf.
»In unserem Land herrscht die neue Religion noch nicht
lange, und in Frankreich und Spanien gibt es viele, die mit der Billigung Roms nur zu gerne unsere Königin töten und durch diese Teufelshure Maria von Schottland ersetzen würden.« Er schüttelte den Kopf. »Ich bin kein grausamer Mensch, Bruno. Im Gegensatz zu einigen meiner Henker bereitet es mir kein Vergnügen, anderen Schmerzen zuzufügen.« Er erschauerte so heftig, dass ich geneigt war, ihm zu glauben. »Ich bin auch nicht die Inquisition – ich fühle mich nicht für die unsterblichen Seelen anderer Menschen verantwortlich. Das überlasse ich jenen, die
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