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Ketzer

Ketzer

Titel: Ketzer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephanie Parris
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hatten, die Hand die ganze Zeit an meinem Dolch gehabt hatte, schienen sehr weit zurückzuliegen. Ich stand im Begriff, in den Geheimdienst der Königin von England einzutreten. Eine weitere unerwartete
Wendung in meinem Leben, dennoch ein Teil der großen Karte meiner seltsamen Reise durch die Welt, dachte ich.
    Unmittelbar vor den Laternen blieb Walsingham stehen und beugte sich zu mir.
    »Ich werde für Euch ein Treffen mit meinem Assistenten Thomas Phelippes arrangieren«, sagte er. »Er ist für organisatorische Fragen zuständig – für die Verschlüsselung von Briefen, die Auswahl von Übergabepunkten und all solche Dinge. Und er gilt als Englands größter Experte auf dem Gebiet der Entschlüsselung von Codes. Ich muss Euch ja wohl nicht eigens darauf hinweisen, dass niemand außer Sidney von unserem Gespräch erfahren darf«, fügte er mit gedämpfter Stimme hinzu.
    »Euer Ehren, ich war einst ein Priester, doch ich kann ebenso gut lügen wie jeder andere Mann auch.«
    Walsingham lächelte.
    »Ich verlasse mich darauf. Ohne Talent zur Verstellung hättet Ihr die Inquisition nicht so lange in die Irre führen können.«
    So kam es, dass ich Teil von etwas wurde, bei dem es sich, wie ich später erfuhr, um ein weitläufiges, komplexes Informantennetzwerk handelte, das sich von den Kolonien der Neuen Welt bis hin zum Land der Türken im Osten erstreckte. Und alle Spione kamen früher oder später heim und gaben alles an Walsingham weiter, was sie an Geheimnissen hatten aufdecken können  – so wie die Taube einst zu Noah zurückgekehrt war, um ihm den Ölzweig zu überbringen.
     
    Ein heftiger Donnerschlag über meinem Kopf riss mich aus meinen Gedanken in die Gegenwart zurück: in den Raum des Königspalastes, in dem ich gegen das regennasse Fenster gelehnt saß und einen von zuckenden Blitzen erleuchteten Hof betrachtete. Ich hatte gehofft, in England in Frieden leben und die Bücher schreiben zu können, die, wie ich glaubte, Europa in seinen Grundpfeilern erschüttern würden, aber ich war ehrgeizig, und das war mein Fluch. Von Ehrgeiz besessen zu sein, ohne über ausreichende Geldmittel und den entsprechenden
Status zu verfügen, macht einen Mann von der Gunst anderer, einflussreicherer Männer abhängig – oder, wie in meinem Fall, von einer Frau. Morgen würde ich die große Universitätsstadt Oxford erreichen, wo ich zwei ausgesprochene Goldklumpen zutage fördern müsste: die Geheimnisse, die Walsingham den dort lebenden heimlichen Katholiken entreißen wollte, und das Buch, von dem ich nun ganz fest glaubte, dass es in einer der ortsansässigen Bibliotheken vergraben sein würde.

Zweiter Teil
Oxford, England
    Mai 1583

2
    Am nächsten Morgen brachen wir im ersten Tageslicht auf. Wir ritten auf Pferden, die Sidney für uns vom Haushofmeister auf Windsor hatte beschaffen können – prächtige Tiere mit Zaumzeug aus rotem und goldenem Samt, besetzt mit leise klirrenden Messingverzierungen. Doch ungeachtet des fröhlichen Geräusches bildeten wir jetzt eine weit trübseligere Reisegesellschaft als tags zuvor auf dem Fluss. Der Sturm war abgeflaut, aber es regnete immer noch unaufhörlich, die Luft hatte sich merklich abgekühlt, und der graue Himmel schien sich auf uns herabsenken zu wollen. Es wäre unmöglich gewesen, die Reise auf dem Wasserweg fortzusetzen, ohne Gefahr zu laufen, dabei zu ertrinken. Der Palatin war beim Frühstück wesentlich wortkarger gewesen als sonst, hatte die Finger gegen die Schläfen gepresst und gelegentlich leise gestöhnt – die Strafe für eine zu lange Nacht und zu große Menge Portwein, hatte Sidney mir zugeflüstert, was meine Laune sofort gehoben hatte. Sidney selbst war bester Stimmung, seine Kartenspielgewinne waren nämlich direkt proportional zum Weingenuss des Palatins gestiegen. Aufgrund des schlechten Wetters legten wir den ersten Teil der Reise jedoch in mürrischem Schweigen zurück, das nur ab und an von Sidneys Genörgel über den Zustand der Straßen oder den unappetitlichen Rülpsern des Palatins zerrissen wurde.
    Die grüne Landschaft zu unseren beiden Seiten veränderte sich kaum. Sidney trieb sein Pferd, dessen Hufe dumpf auf dem nassen Gras dröhnten, an das meine heran, sodass der Palatin,
dem der Kopf immer wieder auf die Brust sank, ein Stück zurückfiel. Zwei Leibdiener kümmerten sich um ihn. Auf ihren Pferden waren die riesigen Körbe festgeschnallt, die Laskis und Sidneys Festtagsstaat für den Besuch enthielten. Ich besaß

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