Ketzer
Glaubenskriege, die Männer in Europa seit fünfzig Jahren dazu bringen, einander zu verbrennen oder zu foltern.«
»Woran glaubt Ihr denn nun eigentlich?«
Ich sah ihn an.
»Ich glaube daran, dass am Ende sogar die Teufel Vergebung erlangen.«
»Ah, Toleranz .« Jerome betonte das Wort, als habe er soeben eine schlechte Olive verspeist. »Kompromisse. Ja, es gibt in den Seminaren viele, die sich auch dafür aussprechen würden; sie begreifen nicht, dass diese Toleranz mit der These gleichzusetzen ist, dass es kein Recht und kein Unrecht, keine Wahrheit und keine Ketzerei gibt. Gott sei Dank lehnt mein Orden solche Abweichungen vom wahren Glauben strikt ab. Wisst Ihr nicht, dass die Zahl der Unseren umso stetiger wächst, je stärker die Katholiken und Priester in England verfolgt werden? Eure Toleranz würde in zwanzig Tagen zerstören, was in zwanzig leidvollen Jahren aufgebaut wurde.«
»Also geht das heilige Blutvergießen weiter«, stellte ich sachlich fest. »Männer und Frauen stürzen sich kopfüber in die Arme der Henker. Ist das nun Märtyrertum oder Selbstmord?«
Jerome lächelte nur nachsichtig.
»Wisst Ihr, wie wir England im Rahmen unserer Mission nennen?« Er legte eine Kunstpause ein. »›Die Vorkammer des Todes‹. Ich habe nie daran gezweifelt, wie das alles für mich enden wird, aber erst muss eine Ernte an Seelen eingebracht werden. Vielleicht ist ja die Eure auch darunter, Bruno.«
Er griff in sein Hemd und zog eine Silberkette hervor, an der ein kleiner Schlüssel hing, dann kniete er erneut zu meinen Füßen nieder und zerrte die Truhe unter der Bank hervor. Er öffnete das Schloss, entnahm ihr zwei Phiolen mit heiligem Öl, kauerte sich auf seine Fersen und sah mich eindringlich an.
»Ich muss eines klarstellen, Bruno.« Er hob eine der Phiolen hoch, damit ich sie besser sehen konnte. »Ihr werdet sterben.
Ich weiß nicht, was Ihr bereits zu anderen gesagt oder nicht gesagt habt, aber alles, was Ihr in dieser Nacht gesehen habt, macht Euch zu einer Gefahr für Gottes Werk, das hier vollbracht wird. Doch ich will Euch in Euren letzten Momenten Trost spenden.« Er hielt mir eine Hand hin. »Beichtet, bereut Eure Ketzerei und versöhnt Euch mit der Kirche, dann kann ich Euch als Jesuit die Absolution erteilen.«
Er sprach so ernst und überzeugt, dass ich wider Willen lachen musste.
»Ihr , Vater Jerome, Ihr wollt mir die Absolution erteilen? Ihr, der Ihr ein Kind gezeugt habt und dessen Mutter ebenso wie zwei andere Männer töten wollt, nur damit Euer Ruf keinen Schaden nimmt? Meine Ketzerei bestand darin, ein paar Bücher über Astronomie und Philosophie gelesen zu haben. Wenn Ihr recht habt und Gott am Tag des Jüngsten Gerichts unsere Seelen auf die Waagschale legt, welche wird dann wohl schwerer wiegen, die Eure oder die meine?«
Jerome schlug einen Moment die Augen nieder, dann gab er meinen Blick fast trotzig zurück.
»Als Luzifer Christus in der Wildnis in Versuchung führte, versuchte er ihn da mit Frauen, mit den Sünden des Fleisches? Nein, er tat es mit der Sünde des Stolzes. Er forderte ihn heraus, sich mit Gott gleichzusetzen. Ich habe gesündigt, aber meine Sünden waren Sünden des Fleisches, für die das Fleisch büßen wird. Ihr hingegen maßt Euch mit der Arroganz Eures Intellekts an, das Universum neu zu gestalten, die Erde aus der Mitte von Gottes Schöpfung herauszureißen, wohin sie Seinem Wort und den Lehren unserer Väter zufolge gehört. Ihr seid der wahre Abkömmling der gefallenen Engel, Bruno.«
»Ich ziehe eine solche Abstammung der von Kain vor«, versetzte ich. »Selbst wenn ich mich mit der Kirche versöhnen wollte, würde ich die Absolution nicht von einem Mann wie Euch entgegennehmen.«
»Wie Ihr wünscht.« Achselzuckend legte er die Phiolen in die Truhe zurück. Nachdem er sie wieder verschlossen hatte, schob
er den Schlüssel unter sein Hemd, erhob sich und stellte sich mir mit in die Hüften gestemmten Händen gegenüber. »Es ist seltsam, dass ich ausgerechnet Euch bewundere, Bruno, aber ich empfinde eine eigenartige Seelenverwandtschaft mit Euch. Unter anderen Umständen hätte ich es genossen, mit Euch zu diskutieren, ich bin zunächst und vor allem für theologische Debatten ausgebildet worden, und Ihr wärt ein würdiger Gegner gewesen.« Er lächelte traurig. »Wir sind uns sehr ähnlich, denke ich, obwohl wir auf verschiedenen Seiten der großen Kluft stehen. Trotz Eures Geredes von Toleranz seid Ihr genauso wenig zu Kompromissen
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