Ketzer
zusammen mit sich selbst vernichtet.«
»Wir haben ihn umgebracht.« Sophia löste ihr tränenüberströmtes Gesicht von Jeromes Schulter. »O Gott, wir haben ihn getötet! Der arme Thomas, er war einst mein einziger Freund. Wird Gott uns das je vergeben?« Sie blickte zum Himmel empor, der jetzt blaue Streifen aufwies. Der größte Teil der Regenwolken zog Richtung Horizont davon.
»Er hat drei Menschen umgebracht«, gab Jerome, der noch immer seinen Hals rieb, heiser zu bedenken. »Und er hätte auch mich getötet. Wir kämpfen einen heiligen Krieg, vergiss das nicht. Diejenigen zu töten, die sich Gottes Reich entgegenstellen, ist kein Mord.«
»Lernt man das in Reims?«, fragte ich bissig. Ich hatte mich inzwischen wieder etwas erholt und steuerte jetzt auf das Treppenhaus zu. Nun, wo Jerome sein Messer wieder an sich gebracht hatte, wurde mir erneut bewusst, wie verwundbar ich war. Ich wollte um keinen Preis dasselbe Schicksal erleiden wie Thomas, aber es war klar, dass sich Sophia nicht gegen Jerome stellen würde, und ich hegte kaum Hoffnung, dass er mich unbehelligt meiner Wege gehen lassen würde.
»Und was ist mit Sophia?«, fügte ich hinzu. »Wäre es auch kein Mord gewesen, sie zu töten, bevor sie Frankreich erreicht? Steht sie Gottes Reich gleichfalls im Weg?«
Jerome lachte abrupt auf und zuckte dann zusammen, weil seine Kehle schmerzte.
»Ihr habt doch selbst gesehen, wie verwirrt der Geist dieses Jungen war, Doktor Bruno. Nachdem er einmal seine Hände mit Mord besudelt hatte, begann er zu glauben, der Rest der Welt wäre ebenfalls nur auf das Töten aus. Er hatte den Verstand verloren.«
Er trat auf mich zu. Ich wich zurück, prallte aber plötzlich mit einem anderen Körper zusammen, fuhr herum und stellte fest, dass die Tür zur Treppe von zwei stämmigen livrierten Dienern versperrt wurde. Einer von ihnen, der ein gutes Stück größer war als ich, packte meinen Arm und drehte ihn mir auf den Rücken, was einen weiß glühenden Schmerz durch meine Schulter jagte. Diesmal leistete ich keinen Widerstand. Ich hatte begriffen, dass ich nicht entkommen konnte. Wenn der Jesuit kein Erbarmen zeigte, gab es für mich kaum noch Hoffnung.
20
»Ich frage Euch noch einmal, Bruno, wer weiß sonst noch, dass Ihr hier seid?« Jerome umkreiste mich. Seine Augen flackerten vor Ungeduld.
»Niemand«, knirschte ich mit zusammengebissenen Zähnen.
»Wo sind die Papiere, die Ihr aus meiner Kammer genommen habt? Die, die Thomas dort deponiert hat, damit Ihr sie findet?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Ich habe sie in meiner eigenen Kammer versteckt. Niemand weiß, dass sie dort sind.«
Jerome runzelte die Stirn.
»Er lügt«, sagte er nach einer Weile zu dem Diener. »Hört zu, wir haben nicht mehr viel Zeit. Du …« Er winkte den zweiten Mann zu sich. »Du gehst zu Lady Eleanor und richtest ihr aus, dass sie sich auf einen Besuch der königlichen Unterherolde vorbereiten soll. Bitte sie, einen schnellen Reiter zu Rowland Jenkes in die Catte Street zu schicken. Jenkes soll so schnell wie möglich herkommen. Ich muss Sophia in Sicherheit bringen; ihr Vater wird inzwischen Leute ausgesandt haben, um sie zu suchen. Dann muss ich nach Oxford zurückkehren. Dieser Mann«, er nickte in meine Richtung, »muss am Leben bleiben, bis Jenkes eintrifft. Er reist mit einer königlichen Abordnung; nichts an seinem Tod darf auf irgendeine Weise auf uns hindeuten. Es muss wie ein Überfall von Straßenräubern oder etwas Ähnliches aussehen. Aber erst muss Jenkes mit ihm sprechen. Er wird froh sein, Euch wiederzusehen, nicht wahr, Doktor Bruno?«
»Sophia, er will Euch töten«, platzte ich heraus, als Jerome den Dienern bedeutete, mich die Stufen hinunterzustoßen. »Ihr glaubt vielleicht, ihm liegt etwas an Euch«, beschwor ich sie verzweifelt, »aber Ihr habt es doch mit eigenen Ohren gehört: Er meint, eine Dispensation von Gott selbst zu haben, die ihm gestattet, alle zu beseitigen, die seiner Mission im Weg stehen. Geht zu Eurer Familie zurück. Sie werden Euch verstehen und vergeben, da bin ich ganz sicher.«
Der Diener zog mich warnend am Arm und zerrte mich zu den Stufen.
»Ich kann nicht, Bruno!«, rief Sophia mit brechender Stimme. »Ich kann nicht mehr zurück, nie wieder. Abgesehen von dem Kind bin ich auch noch zur Kirche Roms übergetreten, ich würde nur in einem stinkenden Gefängnis gefoltert werden, bis ich alle meine Freunde verrate. Das Kind würde höchstwahrscheinlich sterben und ich mich am
Weitere Kostenlose Bücher