Ketzer
dabei deutete er unwirsch auf die innere Tür.
»Diese Tür ist abgeschlossen«, versetzte ich.
»Abgeschlossen?« Slythurst wirkte verwirrt. »Merkwürdig.«
Mit großen Schritten durchquerte er die Kammer bis zu besagter Tür und versuchte selbst, sie zu öffnen, als wolle er mir beweisen, dass er auf meine Worte in keiner Hinsicht etwas gab. Wieder trat eine unbehagliche Stille ein. Ich wusste, dass er darauf wartete, dass ich den Raum verließe, nichtsdestotrotz zögerte ich, weil ich fürchtete, dass das, was er und der andere Eindringling suchten, noch nicht gefunden worden war. Aber ich hatte keinen plausiblen Grund, noch länger zu bleiben, also verneigte ich mich knapp.
»Nun, dann werde ich Euch Eurer traurigen Aufgabe überlassen, Master Slythurst.«
Er nickte bloß, doch als ich an der Tür war, rief er mir nach: »Doktor Bruno, habt Ihr nicht etwas vergessen?«
Einen Moment lang dachte ich, er meinte die Schlüssel und erwartete von mir, dass ich sie ihm aushändigte. Ich starrte ihn verständnislos an, was ihm ein befriedigtes Lächeln entlockte.
»Die Kleider. Ihr wolltet doch den Toten für die Beerdigung herrichten.«
»Natürlich.« Hastig eilte ich zum Schrank zurück und griff mir einen Arm voll Kleider, ohne sie mir genauer anzusehen. Mir war klar, dass meine Notlüge nun endgültig aufgeflogen war.
»Der Rektor ist Euch für Eure Hilfe sicher sehr dankbar.« Slythurst hielt mir die Tür auf, während ich mit den Kleidungsstücken kämpfte. Als ich mich an ihm vorbeidrängte, zischelte er: »Ich werde ein Auge auf Euch haben, Bruno.«
Ich bedachte ihn mit meinem strahlendsten Lächeln und verließ den Raum. Einen Moment später hörte ich, wie sich im Schloss leise ein Schlüssel drehte.
Als ich in den Hof zurückkehrte, sah ich dort Gabriel Norris, jetzt in schlichtes Schwarz gekleidet, was sein gutes Aussehen noch zusätzlich betonte. Er stand am Eingang des Treppenhauses der westlichen Gebäudereihe auf der anderen Seite des Turms und schien vor einer Gruppe von Kommilitonen mit seinen Heldentaten zu prahlen. Eine Hand hielt er dabei auf Brusthöhe, womit er, was die Größe des Hundes betraf, schamlos übertrieb, was mir ein leises Lächeln entlockte. Bald entdeckte er mich und brach seine Rede mitten im Satz ab; mit einigem Argwohn musterte er nacheinander das Kleiderbündel in meinen Armen und den Eingang, aus dem ich mich kurz zuvor gelöst hatte.
»Hat das Plündern bereits begonnen, Doktor Bruno?«, rief er eine Spur zu jovial.
»Ich bin dem Rektor behilflich, es gibt viel zu tun«, erwiderte ich, weil sich diese Behauptung nicht widerlegen ließ.
»Ah.« Er nickte, dann schlenderte er auf mich zu. Aus der Nähe betrachtet kam er mir älter vor als die Jungen, die ungeduldig auf seine Rückkehr warteten; ich schätzte ihn auf fünfundzwanzig Jahre oder mehr. »Das war eine schöne Aufregung heute Morgen, nicht wahr?«
»Diesen Ausdruck würde ich nun nicht gerade benutzen.«
»Nein… nein, natürlich nicht.« Er setzte eine ernste Miene auf. »Ich meinte nur – das Leben in Oxford verläuft normalerweise
dermaßen eintönig, und jetzt haben wir nicht nur eine königliche Abordnung zu Besuch, sondern auch noch eine Tragödie hier. Wir wissen gar nicht, worüber wir zuerst reden sollen.«
»Ihr habt heute Morgen sehr besonnen gehandelt«, meinte ich. »Ich hätte unter diesen Umständen keinen so sicheren Schuss abgeben können. Ein Glück, dass Ihr ein guter Bogenschütze seid.«
Norris nahm das Kompliment mit einem leichten Nicken entgegen.
»Mein Vater hat mich schon zur Jagd mitgenommen, als ich noch ein kleiner Junge war«, erklärte er. »Ich wünschte nur, ich wäre schneller gewesen und hätte Doktor Mercer retten können.« Er rieb sich mit dem Handrücken über die Stirn. Ich vermutete, dass ihn der Vorfall trotz all seiner Aufschneiderei stärker erschüttert hatte, als er zugeben mochte.
»Kanntet Ihr ihn gut?«, fragte ich.
»Seit Doktor Allen letztes Jahr von der Universität verwiesen wurde, war er mein Tutor.« Ein eigenartiger Ausdruck huschte über sein Gesicht; er sah aus, als versuche er mit aller Macht, irgendeine Gefühlsregung zu unterdrücken. »Wir standen uns recht nah, würde ich sagen. Auf jeden Fall hatte ich großen Respekt vor ihm.«
»Es war ein Jagdhund, der ihn getötet hat, nicht wahr?«
»Ein irischer Wolfshund. Ausgezeichnete Jäger – die Hunde trachten danach, ihrer Beute das Genick zu brechen«, erwiderte er,
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