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Ketzer

Ketzer

Titel: Ketzer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephanie Parris
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lauscht!«
    »Wir haben sehr leise gesprochen, er hat wahrscheinlich gar nicht gehört, worüber«, tröstete ich sie, obwohl ein eisiger Finger über mein Rückgrat zu streichen schien.
    »Mit Sicherheit wird er genug gehört haben, um mich bei
meinem Vater anschwärzen zu können«, knirschte sie mit zusammengebissenen Zähnen.
    Eine Weile, die uns sehr lang vorkam, standen wir reglos da. Sie krallte die linke Hand immer noch in mein Wams, während ich sachte ihren rechten Arm stützte. Ihr Haar berührte fast meine Wange und duftete warm nach Rauch und Kamille. Ich hörte das Blut in meinen Adern rauschen und wagte kaum zu atmen, bis sie endlich aufseufzte.
    »Entschuldigt, Bruno – ich muss mich setzen.« Ihre Stimme klang gepresst; sie war noch immer sehr blass.
    Ich geleitete sie zu ihrem Stuhl zurück. Währenddessen waren draußen im Korridor das Zuschlagen einer Tür und gleich darauf zwei Männerstimmen zu vernehmen.
    Sophia hob den Kopf.
    »Vater ist zurück. Ich gehe lieber schleunigst zu ihm und erkläre ihm, dass und warum Ihr hier seid, ehe Adam ihm irgendwelche Flöhe ins Ohr setzt.« Sie holte tief Luft, stemmte sich hoch und blieb so lange vor dem Stuhl stehen, bis sie sicher war, dass sie nicht erneut ein Schwindelanfall überkommen würde.
    »Ist Euch immer noch nicht wohl?« Ich streckte ihr eine Hand hin, doch sie ging an mir vorbei, ohne sie zu ergreifen. An der Tür drehte sie sich noch einmal um.
    »Es geht schon. Gute Nacht, Bruno, und danke, dass Ihr meinem dummen Geschwätz so geduldig gelauscht habt. Wir werden uns bald wieder unterhalten.« Sie lächelte, huschte in den Gang hinaus und schloss die Tür hinter sich.
    Ich langte nach der kopernikanischen Karte und studierte sie nochmals. Sophia hatte das mysteriöse Symbol erkannt, da war ich ganz sicher. Instinktiv ließ ich das Stück Papier in meinem Wams verschwinden. Vermutlich wäre es klüger, ihren Vater erst einzuweihen, wenn ich ihr Vertrauen errungen und aus ihr herausbekommen hätte, was sie wusste. Vom Gang her hörte ich Stimmen – Sophia und der Rektor waren in eine hitzige Auseinandersetzung verstrickt –, von ihm konnte ich jedoch nur die Worte »unschicklich« und »Papist« und von ihr »absurd« und
»Gastfreundschaft« verstehen. Im Anschluss daran fauchte Sophia laut und deutlich:
    »Was bleibt mir denn anderes übrig, als die Hausherrin zu spielen, wenn du nie da bist und die eigentliche Hausfrau sich nicht aus ihrer Schlafkammer rührt? Wer soll sich denn sonst um den Haushalt kümmern?«
    »Geh in deine Kammer, Tochter, und denke dort über deinen Platz und deine Pflichten nach – oder möchtest du, dass ich dich zu deiner Tante nach Kent schicke? Vielleicht sollte ich doch eine Gouvernante einstellen, die dir während deiner Mußestunden weiblichen Gehorsam beibringt?«, zischte der Rektor, als er die Arbeitszimmertür aufriss, in den Raum stapfte und mir sein vor Wut (und vermutlich von dem guten Wein an der Tafel des Christ Church) gerötetes Gesicht zuwandte. Augenblicklich änderte sich sein Verhalten, er verschränkte die Hände und verneigte sich leicht, ohne mir dabei in die Augen zu sehen.
    »Ah, Doktor Bruno! Euer Besuch zu dieser Stunde kommt etwas überraschend.« Seine vorherige Überheblichkeit schien verflogen, was mir einige Befriedigung verschaffte. Es war eine Sache, einen Mann vor fünfhundert Zuhörern, deren Zustimmung man sich sicher sein konnte, zu verspotten, aber wenn man dann allein direkt vor ihm stand, sah das Ganze etwas anders aus. Er hatte eindeutig eine Art Verteidigungshaltung eingenommen; vielleicht fürchtete er, dass ich gekommen wäre, um die Debatte fortzusetzen. »Ich versichere Euch, dass heute Abend …«
    »Doktor Underhill.« Ich wusste kaum, wo ich beginnen sollte. »Ich benötige in einer anderen Angelegenheit Euren Rat – dem Tod von Doktor Roger Mercer.«
    Auf Anhieb wich jegliche Farbe aus seinem Gesicht, und seine flackernden Augen verrieten mir, dass er auf der Hut war. Er wischte sich mit dem Ärmel über die Stirn.
    »Ja. Im Christ Church wurde von fast nichts anderem gesprochen, aber ich denke, wir haben alle bösartigen Gerüchte zum Schweigen gebracht.« Seine Miene wurde nachdenklich. »Möglichenfalls
sollten wir morgen früh einen Gedenkgottesdienst abhalten. Mit der Beerdigung müssen wir nämlich bis nach der gerichtlichen Untersuchung warten – mindestens einige Tage, da der Coroner abwesend ist, wie ich beim Dinner erfuhr. Ich nehme an, es

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