Ketzer
ist Euch möglich, in Oxford zu bleiben, um Eure Aussage zu machen, Doktor Bruno?«
Ich gab keine Antwort. Stattdessen reichte ich ihm den Papierstreifen mit dem aus einem Buch ausgeschnittenen Zitat.
»Erkennt Ihr das hier?«
Mit zusammengekniffenen Augen betrachtete Underhill die winzigen Buchstaben, dann hob er langsam den Kopf, und sein Blick fixierte mich mit einer Mischung aus Verständnislosigkeit und Furcht.
»Der Weizen Gottes«, sagte er leise. »Ignatius. Was hat das zu bedeuten?«
»Es stammt demnach von Foxe?«
»Das Martyrium des heiligen Ignatius – oder vielmehr des Bischofs Ignatius von Antiochia, wie wir ihn nennen sollten. Er starb unter der Herrschaft von Kaiser Trajan den Märtyrertod. Laut Foxe waren dies seine letzten Worte, als er den wilden Tieren vorgeworfen wurde.« Er reichte mir den Papierstreifen mit einem Ausdruck zurück, der an Zorn grenzte, obwohl seine Hand noch immer zitterte.
»Dieses Papier wurde unter meiner Tür hindurchgeschoben, während ich bei der Disputation war. Dem Anschein nach will jemand meine Aufmerksamkeit auf die Art und Weise lenken, wie Doktor Mercer zu Tode gekommen ist.«
»Indem er ein Buch zerschneidet? Wer würde so etwas tun? Ich fürchte, ich kann Euch da nicht folgen, Doktor Bruno.«
»Nicht zum ersten Mal heute«, murmelte ich, zwang mich aber, höflich zu bleiben. »Wir haben beide heute Morgen gesehen, dass Roger Mercer zusammen mit einem wilden Hund im Garten eingeschlossen war. Ich habe mich gefragt, ob jemand ihn unter dem Vorwand, ihn treffen zu wollen, dorthin gelockt und dann den Hund losgelassen hat – gleichsam als perverse
Parodie eines Märtyrertodes. Und wie es aussieht, hat mir jemand diese Botschaft als Hinweis darauf geschickt, dass irgendwer hier weiß, warum Roger getötet wurde, und vielleicht auch, von wem.«
Underhill bedeutete mir verzweifelt, mit leiserer Stimme zu reden, und blickte furchtsam zur Tür. Er hatte zweifellos einen gewaltigen Schreck bekommen, gewann jedoch seine Fassung rasch zurück und brachte ein gepresstes, nervöses Lachen zustande.
»Lieber Gott, was für eine blühende Fantasie ihr Italiener habt, Bruno!« Er schüttelte abwehrend den Kopf. »Ich fürchte, in der Verwirrung und dem Entsetzen des heutigen Morgens haben wir uns zu einigen etwas voreiligen Schlussfolgerungen hinreißen lassen. Aber wir dürfen uns nicht von unserer ganz natürlichen Betroffenheit und Trauer dazu verleiten lassen, allzu viel in einen tragischen Unfall hineinzulesen. Und was dieses Zitat betrifft – vermutlich erlaubt sich jemand einen Scherz mit Euch und verschafft Euren wilden Vermutungen bloß deshalb Nahrung, um Euch dann wie einen Narren hinzustellen. Gebt ihm lieber nicht die Genugtuung, nach dem Köder zu schnappen.«
Ich wandte mich zum Gehen, weil mein Blut in den Adern zu kochen begann. Als ich vorher erneut das Wort ergriff, musste ich meine gesamte Selbstbeherrschung aufbieten, um ruhig zu bleiben – meine Fingernägel bohrten sich unterdessen tief in meine Handinnenflächen.
»Ich bin ein Augenzeuge des Geschehens, Doktor Underhill. Ich habe Doktor Mercers Leichnam und die Stätte seines gewaltsamen Todes untersucht, während Ihr Euch wie eine zimperliche Frau über Eure Schuhe erbrochen habt. Meine Aussage wird dem Coroner von wesentlich größerem Nutzen sein als die Eure.«
Bei diesen Worten schien sich sein Gefieder zu sträuben, und sein Ton wurde offen feindselig.
»So, meint Ihr? Das Wort eines Ausländers? Eines Katholiken?
Eines Mannes, dem man nachsagt, Magie auszuüben, der glaubt, dass sich die Erde um die Sonne dreht, und der sich auch noch öffentlich dazu bekennt?«
Ich atmete tief durch und wartete, bis der Drang, ihm eine Ohrfeige zu versetzen, verflog, erst dann öffnete ich die Tür zum Esszimmer.
»Danke, dass Ihr mir Eure Zeit geopfert habt, Rektor. Ich werde Euch jetzt von meiner Gegenwart befreien.«
»Eines noch, Bruno. Ich weiß ja nicht, was für Sitten in Italien herrschen, doch in England gilt es als unschicklich, wenn eine unverheiratete Frau von gutem Ruf allein mit einem Mann spricht, selbst wenn es sich um einen Gentleman handelt. Daher untersage ich Euch jede weitere private Unterhaltung mit meiner Tochter.« Er verschränkte wichtigtuerisch die Arme vor der Brust, und ich blieb im Türrahmen stehen
»Bei allem Respekt, Rektor – nehmt bitte davon Abstand, mich wie einen Eurer Undergraduates herumzukommandieren! Wenn Ihr wollt, könnt Ihr mir ja eine
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