KGI: Dunkle Stunde (German Edition)
nichts mehr. Die Trottel von der Regierung hier in der Gegend lassen mich in Ruhe die Dorfbevölkerung behandeln. Sie sehen mich nicht als Bedrohung an.«
»Wenn wir hierbleiben, könnte sich das ändern«, wandte Ethan ein. Er mochte die Ärztin. Ihre geradlinige Art gefiel ihm. Vielleicht lag es aber auch nur daran, dass sie in Bezug auf Rachels Zustand nichts beschönigt hatte. Er brauchte Ehrlichkeit und Direktheit, denn zum ersten Mal in seinem Leben war er hoffnungslos überfordert. In der Vergangenheit war er stets entscheidungsfreudig gewesen, auch wenn er häufig die falschen Entscheidungen getroffen hatte – und meistens zu seinem eigenen Nachteil.
Ab jetzt würde er sich Zeit lassen und Rachels Bedürfnisse vor seine eigenen stellen. Auch das hatte er bislang nie getan.
»Dieses Risiko gehe ich ein. KGI hat viel für mich riskiert. So kann ich mich ein wenig revanchieren.« Sie lächelte. »Wenn Sie mich jetzt entschuldigen … Ich muss mich noch um andere Patienten kümmern.«
Ethan stand auf. »Danke, Dr. Scofield. Für alles.«
»Bitte nennen Sie mich Maren.«
»Mit Vergnügen, Maren.«
Sie verließ das Büro und ging in das Behandlungszimmer, in dem Cole wartete. Ethan blieb vor ihrem Schreibtisch stehen. Sein Herz schlug jetzt ein wenig schneller.
10
Rachel schlug die Augen auf. Blinzelnd versuchte sie, sich an die Lichtverhältnisse zu gewöhnen, bis sie nach einem kurzen Moment klar sehen konnte. Seit sie das letzte Mal wach war, hatte sich einiges verändert. Sie lag nicht mehr auf einer schmalen Liege in einem so winzigen Zimmer, dass ihr schlagartig der Schweiß ausgebrochen war. Ihr Bett war jetzt größer und bequemer.
Ein Infusionsschlauch führte von ihrem Arm zu einem Beutel, der an einer Stange hing. Eine Weile blieb sie still liegen und genoss das Gefühl inneren Friedens, das sie seit einer halben Ewigkeit nicht mehr empfunden hatte.
Sie verspürte keinerlei Verlangen, kein überwältigendes Bedürfnis nach dem Gift, das ihre Haut kribbeln ließ und das heimtückisch durch ihre Adern kroch. Einige Sekunden lang war sie frei von jeglichem Schmerz. Sie genoss die angenehme Stille.
Plötzlich nahm sie rechts von sich eine Bewegung wahr. Sie zuckte zusammen. Ein Schatten wanderte zur Seite und sanftes Licht ergoss sich über ihr Bett.
»Rachel, ich bin es, Ethan. Ich wollte dich nicht erschrecken.«
Er trat näher. Endlich war sie klar im Kopf, und so nutzte sie die Gelegenheit, um ihn sorgfältig zu betrachten. Er war groß, viel größer als die Männer, die sie in ihren Albträumen heimsuchten, und dennoch wusste sie instinktiv, dass dieser Mann ihr nicht wehtun würde, dass sie bei ihm in Sicherheit war.
Glattes, kurzes schwarzes Haar. Militär . Dieses Wort kam ihr ganz unwillkürlich in den Sinn. Erstaunlich blaue, ernste, nachdenkliche Augen. Ein anderes Bild tauchte kurz auf: Dieselben Augen schauten sie strahlend und lachend an, während er sie im Kreis herumwirbelte, immer wieder. Sie schloss die Augen auf der Suche nach weiteren Erinnerungen, aber so schnell das Bild aufgetaucht war, so schnell verschwand es auch wieder.
»Hast du Schmerzen?«
Ethans Stimme platzte in ihre angenehmen Träumereien hinein. Sie öffnete mit flatternden Lidern die Augen. Er beugte sich zu ihr hinab, seine Finger strichen zaghaft über ihre Wange.
Statt zu antworten, nahm sie seine Hand und spürte deren Wärme und Kraft. Er rieb mit dem Daumen über ihren Handrücken und hob ihre Hand so sanft an seine Lippen, dass sie tief gerührt war.
»Hey«, sagte er stockend. »Wie geht’s dir?«
»Ethan.«
»Ja, Kleines, ich bin’s. Ethan. Du bist jetzt in Sicherheit. Weißt du das?«
Sie nickte. Ihre Kehle war wie zugeschnürt, sie brachte kein Wort heraus.
Er küsste ihre Stirn, dann strich er ihr vorsichtig die Haare nach hinten.
»Rutscht du ein bisschen, damit ich mich besser hinsetzen kann?«, fragte er.
Er lehnte mit der Hüfte am Bettgestell. Rasch machte sie ihm Platz. Er setzte sich, und sein Oberschenkel berührte ihren.
»Wie fühlst du dich?«
Sie musste kurz überlegen. Wie konnte sie erklären, wie sie sich fühlte?
»Frei«, sagte sie schließlich.
Er nahm ihre Hände in seine. »Ich bringe dich bald nach Hause. Ein paar Tage will dich Dr. Scofield zur Sicherheit noch hierbehalten, aber ich werde die ganze Zeit über bei dir sein.«
Weitere Bilder tauchten vor ihrem geistigen Auge auf. Undeutlich drängten sie sich in ihr Gedächtnis. Diesmal sah sie Ethans
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