KGI: Dunkle Stunde (German Edition)
»Abgesehen von Weihnachten ist es schwierig, alle unter einen Hut zu kriegen. Und nicht mal dann klappt es immer. Wir waren alle beim Militär, und es war praktisch unmöglich, dass alle gleichzeitig Heimaturlaub bekamen. Erst nachdem Sam und Garrett KGI gründeten, wurde es etwas einfacher, weil nur noch Nathan und Joe bei der Truppe sind.«
»Vielleicht können wir dieses Jahr zusammen Weihnachten feiern«, sagte Rachel. Sie freute sich auf Christbäume, Weihnachtslieder und ein großes Familientreffen.
Zögernd drehte sie sich erneut zum Spiegel, um ihre Frisur noch mal zu kontrollieren. Ihre Haare waren so kurz, dass nicht allzu viel zu machen war, aber mit einem Lockenstab hatte sie wenigstens die Spitzen ein wenig in Form gebracht. Jetzt hatte es vage Ähnlichkeit mit einem Schnitt und sah nicht mehr so sehr nach dem Gemetzel aus, das ihre Entführer angerichtet hatten.
»Du bist wunderschön«, sagte Ethan.
Sie strahlte ihn an. »Du findest immer die richtigen Worte zur richtigen Zeit. Ich habe mir schon ein bisschen selbst leidgetan, das muss ich zugeben. Ich brauche mir bloß die Fotos von früher anzuschauen. Damals war mein Haar viel länger, dafür bin ich jetzt viel dünner.«
»Deine Haare wachsen nach, und wenn du Mom machen lässt, hast du in null Komma nichts wieder dein altes Gewicht.«
Sie musste kichern. In der Hinsicht nahm Marlene ihre Rolle wirklich ernst. Es verging kein Tag, an dem sie nicht jemanden mit Lebensmitteln zu ihnen geschickt oder sie gleich zum Essen eingeladen hätte.
»Na komm, fahren wir los, bevor ich die Nerven verliere.«
Ethan nahm ihre Hand und drückte sie aufmunternd. »Du wirst das großartig machen.«
Die Party war todlangweilig, aber sie hatte ohnehin nicht erwartet, dass die Kellys eine richtige Party schmeißen würden. Rusty hockte in der Ecke und beobachtete das Treiben mit kaum verhohlener Langeweile.
Was sie brauchten, war gute Musik und richtiger Alkohol, nicht dieses Light-Bier, das einige der Männer tranken. Für eine Zigarette hätte sie jetzt ihren rechten Arm hergegeben, und sie hatte kurz überlegt, sich heimlich ein Päckchen zu besorgen, aber Marlene wäre ausgerastet, wenn sie ihr auf die Schliche gekommen wäre. Und obwohl mit ihr hinsichtlich bestimmter Regeln nicht zu spaßen war, mochte Rusty sie gern. Außerdem wollte sie das erste richtige Zuhause, das sie jemals hatte, nicht aufs Spiel setzen. Deshalb benahm sie sich auch wie ein braves Mädchen, trug brave Kleidung und eine brave Frisur.
»Gehörst du zur Familie?«
Sie fuhr herum und funkelte den Mann an, der sich an sie herangeschlichen hatte.
»Was geht Sie das an?«
Belustigt zog er die Augenbrauen hoch. »Ich hätte ein paar Fragen zu Rachels Rückkehr, aber ich wollte mit jemandem sprechen, der direkt zur Familie gehört.«
Ein seltsames Gefühl machte sich in ihrem Magen breit. Zu ihrer Überraschung ließ der Gedanke, dass dies hier ihre Familie wäre oder es zumindest danach aussähe, ihr Herz vor Freude höher schlagen.
»Da sind Sie bei mir genau an der richtigen Adresse«, sagte sie leichthin. »Immerhin wohne ich hier.« Sie wedelte mit der Hand in Richtung einiger Kelly-Brüder, die sich im Raum verteilt hatten. »Anders als die da alle.«
»Ah, gut, dann bist du genau die Person, mit der ich sprechen wollte. Was dagegen, wenn ich mich setze?«
23
Rachel stand mit ihrem Glas und einem Lächeln im Gesicht stocksteif da. Sie wusste nicht einmal, was in dem Glas war und hatte auch noch nicht gekostet.
Wer waren all die Leute hier? Die Kellys kannte sie mittlerweile, beziehungsweise den engeren Familienkreis, also Ethans Brüder und Eltern. Aber das Zimmer war voller Leute, die sie nie zuvor gesehen hatte.
Sie verzog das Gesicht. Natürlich hatte sie sie schon gesehen. Sie konnte sich nur nicht an sie erinnern. Es war schwer, zu lächeln und Haltung zu bewahren, wenn so viele Menschen mit ihr redeten, als würden sie sie schon eine Ewigkeit kennen. Mehrere hatten sogar ganz bestimmte Situationen angesprochen, von denen sie beim besten Willen nichts mehr wusste.
Aber sie nickte an den passenden Stellen und lächelte, bis ihr die Kiefer schmerzten. Nachdem sich der sechste Gast an sie gewandt hatte, war sie nicht mehr in der Lage, sich noch irgendwelche Namen oder Gesichter zu merken.
Ethan war die ganze Zeit nicht von ihrer Seite gewichen, aber sie brauchte eine Pause, wenigstens für ein paar Minuten. Sie drehte sich zu ihm und lächelte ihn beruhigend
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