KGI: Dunkle Stunde (German Edition)
Aber ihrer Verärgerung und ihrer Entschlossenheit stand er ratlos gegenüber. So hielt er sie eben fest, sonst nichts.
»Du kannst mir immer alles erzählen«, flüsterte er ihr ins Ohr. »Egal, wie sehr du dich schämen magst. Ich werde dich nicht verurteilen, Rachel. Ich liebe dich.«
Die Sätze klangen irgendwie falsch in seinen Ohren. Alles, was er gesagt hatte, war wahr, dennoch war er so scheinheilig, dass es schlimmer nicht mehr ging. Er erwartete von ihr, die Wahrheit zu sagen, und selbst war er dazu nicht bereit.
Er schloss die Augen und vergrub das Gesicht in ihrem Haar. Ihm blieb nur eine Galgenfrist. Irgendwann würde sie sich erinnern. Es war nur eine Frage der Zeit, das stand fest. Tagtäglich kamen mehr Einzelheiten zurück, kleine Details, Erinnerungen, die ans Tageslicht drängten. Wie lange konnte er noch hoffen, ihr die volle Wahrheit vorzuenthalten?
»Es tut mir leid, Ethan.«
Sie löste sich von ihm, sank dann erneut in seine Umarmung und verschränkte die Hände hinter seinem Nacken.
»Ich bin ein bisschen durchgedreht. Ich hasse es, wie ich mich gefühlt habe. Wie lange muss ich noch mit dieser Sucht leben? Ist es denn noch nicht lange genug? Im einen Moment geht es mir gut und dann, wumm, aus heiterem Himmel fängt meine Haut an zu kribbeln, ich will nur noch, dass die Schmerzen aufhören, und dafür würde ich in dem Augenblick alles tun.«
»Ich fahre noch mal mit dir zum Arzt. Wir lassen uns was einfallen, Rachel. Ich schwöre es. Wenn du zu der Therapeutin nicht mehr hingehen willst, finden wir eine andere Lösung. Gemeinsam können wir es schaffen.«
Sie lächelte auf eine Art, dass ihm der Atem stockte. Endlich zeigte sich in ihren Augen wieder Hoffnung.
»Du hast recht. Sean hat recht. Gemeinsam können wir es schaffen. Ich werde mich bessern, Ethan. Ich will doch nur, dass alles wieder so wird wie früher«, sagte sie sehnsüchtig.
So wie früher. Ach, Gott, wenn sie wüsste. Das war das Letzte, was er wollte. Er wünschte sich, dass alles anders werden würde. Er wollte auf gar keinen Fall, dass alles wieder so wurde wie damals, bevor sie wegging, bevor er die Nachricht bekam, sie sei gestorben. Er wollte einen Neuanfang für sie beide. Aber für diesen Neuanfang würden sie sich der Vergangenheit stellen müssen.
30
Ethan warf Rachel einen Blick zu, um sich zu vergewissern, dass es ihr in dem überfüllten Wohnzimmer gut ging. Die Familie war zusammengekommen, weil dies für eine ganze Weile der letzte Abend sein würde, den Nathan und Joe zu Hause verbrachten. In zwei Tagen mussten sie zu einer Übung aufbrechen, allerdings brauchte ihre Mom nicht unbedingt einen Grund, um ihre Kinder um sich zu scharen.
Nathan und Joe hatten zwar den Anlass gegeben, im Mittelpunkt stand jedoch zunächst Rusty mit einer kleinlauten Entschuldigung. Rachels Reaktion war schwer einzuschätzen. Ethan hatte nicht gewollt, dass sie erfuhr, was Rusty verbrochen hatte. Das ließ sich dann jedoch nicht vermeiden, da sein Vater auf einer quasi öffentlichen Entschuldigung bestanden hatte. Rachel hatte das Ganze schweigend und ebenso bedrückt wie Rusty zur Kenntnis genommen.
Rusty jedenfalls schien ihren Fehler aufrichtig zu bereuen. Jetzt stand sie wieder ein wenig abseits, mit blassem, kummervollem Gesicht. Eigentlich sollte sie sich in ihrem Alter eher Gedanken wegen Jungs und Ausgehbeschränkungen machen.
Ethan seufzte und schloss kurz die Augen. Er war hundemüde, und die Frage, wie Rusty sich in Zukunft entwickeln würde, interessierte ihn derzeit nur am Rande.
»Alles klar, Mann?«
Vor ihm stand Donovan und sah ihn mit besorgter Miene an.
»Ja, alles klar. Ich habe gedacht, du bist mit deinem Auftrag beschäftigt.«
Donovan nickte. »Morgen früh geht es los. Ich wollte mich noch von Nathan und Joe verabschieden.«
»Und du brauchst wirklich keine Hilfe?«
Nicht dass Ethan Rachel auch nur eine Sekunde allein lassen wollte, aber dass Sam und Garrett sich aus der Sache heraushielten, gefiel ihm nicht, vor allem deshalb, weil sie es ihm zuliebe taten.
»Nein, kein Problem. Ein Kinderspiel. Das geht ruckzuck. Abgesehen davon braucht Rachel dich. Kümmere dich um sie, und vergiss alles andere.«
Ethan warf verstohlen einen weiteren Blick zu seiner Frau. Sie stand ruhig neben Marlene, die gerade Nathan und Joe herzte. Plötzlich packte ihn Donovan am Arm und zog ihn hoch.
»Hey, was soll das?«
Wortlos zerrte Donovan ihn zum Hintereingang, eigentlich ein eher lachhaftes Unterfangen,
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