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Kielwasser

Kielwasser

Titel: Kielwasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinhard Pelte
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Jung fröstelte leicht. Dann zog er die Vorhänge vor die Koje und löschte die Leselampe über seinem Kopf. Er atmete tief aus.

Das Schiff I
    Jung wurde von einem schrillen Pfeifen aus der Bordsprechanlage geweckt. Dann kam in breitem Sächsisch hinterher:
    »Der Tag ist lang,
    doch Seemann, sei nicht bang,
    nur folge nicht der Weiber Locken
    und komm jetzt endlich in die Socken.
    Reise, Reise aufstehen.«
     
    Die ungewöhnliche Poesie des Weckrufs machte Jung wach. Er konnte sich undeutlich daran erinnern, nachts das Trampeln schwerer Seestiefel im nahen Treppenschacht vernommen zu haben. Sonst hatte er geschlafen wie ein Nilpferd. Von seinem Kammergenossen hatte er nichts gehört. Als er sich erhob, war die Koje des METs schon wieder leer und gebaut. Er kam sich dreckig vor. Seine Wade piesackte ihn, aber im Vergleich zu gestern fühlte er sich fast gesund. Er vermisste Schumann.
    Nachdem er an dem Blechwaschbecken Morgentoilette gemacht und die Wäsche gewechselt hatte, staute er seine Sachen in den leeren Spind und in die freien Unterschränke und Kojenkästen, was davon hineinpasste. Den Rest ließ er in den Seesäcken. Die Kammer war danach wenigstens teilweise begehbar.
    Das Schiff lag ruhig. Jung hatte das Gefühl, in einen Bunker eingeschlossen zu sein, mit Kunstlicht und rauschender Klimaanlage. Ein leichtes Vibrieren fiel ihm auf.
    Er trat in den Gang hinaus. Es war niemand zu sehen, aber es roch nach Bohnenkaffee und frischgebackenen Brötchen. Er fühlte sich nicht wohl. Dick isolierte Rohre führten an der Decke und den Wänden des Gangs entlang. Schwarz-gelbe Leuchtbänder markierten vorspringende Kanten und Ecken. Unter der Decke hingen Leuchtröhren, daneben armdicke Kabelstränge in Lagern aus Lochblech. Feuerlöscher, Kabeltrommeln, Schlauchrollen, Geräteschränke und Klappmülleimer engten den ohnehin schmalen Flur zusätzlich ein. Er las die über den Türen angeschraubten Schildchen: ›XI/H/7‹ stand über seiner Kammer. Etwas weiter, den Gang hinunter, entzifferte er rechts ›WC Herren‹ und schräg gegenüber ›O-Messe‹.
    Er öffnete die Tür zur Messe und betrat einen geräumigen, holzvertäfelten Raum, in dessen Mitte ein lang gestreckter Tisch zum Frühstück gedeckt war. Er war erleichtert, zwei Offiziere zu sehen, die schon Platz genommen hatten. Sie löffelten aus Müslischalen Haferflocken mit Milch.
    »Da ist ja unser Neuzugang, guten Morgen. Ich bin Ihr Kammerkamel, der Stabsmeteorologe, auch kurz MET oder Große Wolke genannt. Willkommen an Bord«, begrüßte ihn einer der beiden. Er trug BGA, eine Art Blaumann mit Achselklappen. Drei volle und ein halber Goldbalken zierten seine Schultern. Jung erwiderte den Gruß und stellte sich vor.
    »Ich hätte Sie gestern am Flughafen abgeholt, wenn Sie bei Tageslicht gelandet wären«, bemerkte der andere. Er war in eine sandfarbene Fliegerkombi gekleidet und trug drei Goldbalken auf den Schultern.
    »Warum geht das nicht im Dunkeln?«
    »Haben Sie neben der Runway das Camp gesehen?«
    »Das konnte man gar nicht übersehen.«
    »Das ist Camp Lemonier. Gehört den Amis. Die wollen nicht, dass wir da nachts rumfliegen.«
    »Ah ja, und deswegen läuft nichts. Ich verstehe.«
    »Genau, so ist es.« Der Pilot machte eine kurze Pause. »Kaffee, Herr Oberleutnant? Müsli und Milch finden Sie da drüben auf der Anrichte. Als Highlight gibt es heute Rührei. Sagen Sie der Ordonnanz Bescheid. Sie bringt es Ihnen an den Tisch.«
    »Ja, danke. Ich nehme Kaffee. Das reicht mir vorerst.«
    »Hat ganz schön geschaukelt gestern Nacht, was?«, fuhr der MET in der Unterhaltung fort. »Nachmittags hatten wir eine Gewitterfront mit ordentlich Wind und Regen. Deswegen konnten wir auch nicht an die Pier. Unser Liegeplatz befindet sich im Außenhafen. Da stand zu viel Seegang. Hätte uns vielleicht die Bordwand und die Stelling demoliert.«
    »Ja, gestern Nacht waren Regenpfützen auf den Straßen«, bemerkte Jung lahm.
    Der MET stand auf und ging zur Anrichte, um sich noch Müsli zu holen. Er war um die 1,80 groß, schätzte Jung, schlank, aber kompakt gebaut und breitschultrig. Er bewegte sich, als wäre eine unsichtbare Stütze in seinen Rücken eingezogen. Sie hielt ihn zwar betont aufrecht, ließ ihn aber unbeweglich erscheinen.
    »Ist jetzt vorbei. Wird in den nächsten Tagen sehr ruhig und warm werden. Gut zum Eingewöhnen.«
    »Und gut zum Fliegen, wenn du nicht wieder meteorolügst, Martin«, warf der Pilot ein. Sie lachten beide.
    Während sie

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