Kielwasser
Molenspitze herum auf das offene Meer. Die See wurde jetzt ruppiger. Sie hielten sich aneinander fest und klammerten sich an das Gestänge der Spritzwasserpersenning. Die Nacht war pechschwarz. Ab und zu schlug ihnen Gischt ins Gesicht. Jung sah außer seinen unmittelbaren Nachbarn nichts, bis er in einiger Entfernung einen einsamen Leuchtpunkt ausmachte. Sie hielten auf ihn zu, und nach wenigen Minuten tauchten undeutlich die Befeuerung und die Silhouette eines ankernden Kriegsschiffes in der Dunkelheit auf. Die Bordwand wurde mittschiffs von einem grellen Scheinwerfer beleuchtet.
Sie näherten sich dem Schiff von achtern und übergaben eine Leine auf das Manöverdeck. Decksleute sicherten die Leine. Zuerst wurde das Gepäck mit ähnlichem Stimmaufwand wie schon im Hafen an Bord geworfen. Das Boot hüpfte wie ein Korken auf und ab. Die Soldaten, darunter auch Schumi, ließen sich dennoch nicht davon abhalten, dem Gepäck hinterher, behände über die Reling an Bord zu turnen.
Jung konnte sich nicht entschließen, es ihnen nachzutun. Seine Wade hielt ihn davon ab. Schließlich blieben er und ein junger Gefreiter mit der Figur eines Couch-Potatos an Bord der Barkasse zurück. Das Boot verholte nach mittschiffs in den Scheinwerferkegel und machte an Leinen achtern und vorn fest.
In dem kräftigen Seegang schlug die Barkasse jetzt öfter gefährlich mit dem Bugspriet gegen die Bordwand der Fregatte. Sie hatten Mühe, sich auf den Beinen zu halten. Jung sah die Bordwand hinauf in das gleißende Licht des Scheinwerfers. Die Wand kam ihm vor wie die Eiger Nordwand. Seine Wade zuckte schmerzhaft.
»Mensch, Bootsführer, lass mein Schiff heil. Wo hast du deinen Führerschein gemacht? Wohl bei den Hottentotten, was?«, kam es laut von oben.
Der Bootsführer fluchte leise vor sich hin, enthielt sich aber eines Kommentars.
»Lege das Ruder nach Steuerbord und nimm etwas Fahrt auf. Halte mit dem Bugspriet von der Bordwand ab, verstanden?«
Er tat, wie ihm befohlen, und verlor die Jakobsleiter. Die Achter- und Vorleine kamen dicht.
»Wir fieren dich jetzt achteraus, bis du wieder vor der Leiter stehst, alles klar?«, schallte es von oben.
»Alles klar!«, rief der Bootsführer.
Der Couch-Potato machte sich bereit, über die Jakobsleiter aufzuentern.
»Seemann, leg die Schwimmweste an«, kam es diesmal noch lauter von oben.
»Steck dir deine Scheißweste in den Arsch«, schrie er zurück. Ängstliche Verzweiflung verzerrte seine Stimme.
»Hier spricht dein erster Offizier, Soldat. Leg die Schwimmweste an. Das ist ein Befehl. Morgen melden Sie sich bei Ihrem Hauptabschnittsleiter. Verstanden?«
Minuten vergingen, in denen sie in dem auf und ab hüpfenden Boot die Schwimmwesten anlegten. Der dicke Seemann grummelte wütend vor sich hin. Jungs Wade schmerzte. Er musste sich breitbeinig an den Maschinenkasten lehnen, um die Balance zu halten und die Weste anzulegen. Dabei verlor er seine Mütze.
»Macht ihr da unten Flitterwochen oder was? Vielleicht geht’s ein bisschen flotter, die Herrschaften«, kam es wieder von oben.
Jung war als Erster klar zum Aufentern. Seine Mütze hatte er vergessen. Er wartete, bis die Barkasse auf einem Wellenkamm kurz zur Ruhe kam, griff die seitlichen Haltetaue und setzte seinen rechten Fuß auf die erstbeste Sprosse der Jakobsleiter. Als die Barkasse unter ihm wegsackte, schoss ein beißender Schmerz durch seine Wade. Krampfhaft und mit zusammengebissenen Zähnen klammerte er sich fest und zog das linke Bein nach. Dann hangelte er sich Schritt für Schritt die Leiter hoch. Sie schien kein Ende nehmen zu wollen. Schließlich packten ihn kräftige Hände und zogen ihn an Oberdeck. Erleichterung erfasste ihn. Vor ihm stand ein kompakter Kerl. Mehr konnte er nicht ausmachen, als er aus der blendenden Helle des Scheinwerfers in das Halbdunkel des Schiffsdecks getreten war.
»Ah, der Herr Oberleutnant. Haben Sie sich das Bein da unten gequetscht? Sie humpeln ja.«
»Eine alte Verletzung. Tut weh. Melde mich an Bord«, erwiderte Jung.
»Willkommen an Bord. Ich bin der Erste Offizier. Guten Abend. Wundern Sie sich nicht, dass wir auf das Anlegen der Westen bestehen. Wir haben erst letztens einen guten Mann verloren. Legen Sie die Weste jetzt ab.«
Hinter ihnen tauchte Schumann aus dem Dunkel auf.
»Ich werde Sie jetzt unter Deck bringen und dem CTF melden. Herr Oberstabsbootsmann, kümmern Sie sich bitte um das Gepäck«, wandte er sich Schumann zu. »Der Oberleutnant kommt zum MET 13 auf
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