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Kielwasser

Kielwasser

Titel: Kielwasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinhard Pelte
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überholen, weil ihre Fahrzeuge mit Abstand die modernsten und schnellsten waren, und die klapprigen Lastwagen und Auflieger, darunter viele aus Zeiten der untergegangenen Sowjetunion, zu langsam fuhren und vor allem zu stark aus ihren Auspuffen qualmten, als dass es bekömmlich gewesen wäre, sich hinter ihnen lange aufzuhalten. Sie kamen gut voran und hatten die Stadt bald verlassen. Die asphaltierte Straße war zweispurig und bequem zu befahren, wenngleich die Bermen nicht befestigt waren und sich die Schlaglöcher mit zunehmender Entfernung von der Stadt häuften.
    Jung sah im Westen, über den Bergen, kleine turmartige, weiße Wölkchen aufsteigen. Er freute sich, nach den vielen Tagen mit glattem, blauem Himmel und gleißender Sonne endlich ein kleines Zeichen der Abwechslung zu entdecken. An seiner guten Stimmung konnten auch der Müll und die häufigen Wracks an der Straße nichts ändern. Sie waren überall zu finden, selbst da, wo sich leblose Wüste auszubreiten begann.
    Zur rechten Hand wurden die ersten Behausungen aus Pappen, Plastiktüten und Blechkanistern sichtbar. Menschen in abgerissenen Kleidern, barfuß oder in Sandalen aus den Überresten abgefahrener Autoreifen, standen am Straßenrand, wurden immer zahlreicher und starrten aus hungrigen Augen auf den vorbeifließenden Verkehr. Bald mussten sie die Geschwindigkeit drosseln, weil der Straßenbelag an den Rändern mehr und mehr abbröckelte und das Vorankommen erschwerte. Ihr Fahrer wollte auch nicht Gefahr laufen, einen der vielen Zaungäste am Straßenrand anzufahren.
    »Die sind aus den Flüchtlingscamps da drüben, absolute No-go-Areas«, kommentierte er die Menschentrauben.
    Später kam der Verkehr völlig zum Erliegen. Vor ihnen war die Straße gesperrt worden. Zur Linken sah Jung in einiger Entfernung, wie eine weiße Decke sich über die sanften Wellen der Wüste ausbreitete. Bei näherem Hinsehen identifizierte er die weiße Unendlichkeit als die Aneinanderreihung unzähliger betender Gläubiger, den Rücken gebeugt, die Stirn am Boden und die Arme fast auf den Waden ihrer Vordermänner. Auf einer kleinen Anhöhe stand ihr Vorbeter und hielt sich eine elektrische Flüstertüte vor den Mund. Die Menge bewegte sich im Takt seiner Gebetslitaneien auf und nieder. Sie antwortete ihrem Führer aus Abertausenden von Kehlen und die rhythmische Macht ihrer gebündelten Stimmen brauste über die Ebene dahin wie die Brandung eines gewaltigen Ozeans.
    Jung stockte der Atem angesichts der schieren Masse und des gewaltigen Sounds. In seiner Fantasie verdichtete sich die Vorstellung, wie der Anführer sich umwandte, die Flüstertüte vor dem Mund, den rechten Arm nach vorn gestreckt und wild entschlossen, anstatt Litaneien zu singen, zum Sturm auf Dschibuti zu blasen. Der ausbrechende menschliche Tsunami würde alles auf seinem Weg hinwegfegen, als Erstes die Fahrzeugschlange, dann das Flüchtlingslager, später Dschibuti mitsamt der Ahriba, dem Hafen und den vertäuten Schiffen, darunter die deutschen Helfer im Kampf gegen den weltweiten Terrorismus. Ihn schauderte.
    Er tippte dem Fahrer auf die Schulter und fragte, warum es nicht weitergehe. Der zuckte nur mit den Achseln. Neben ihm schaute sich Schumann nach dem Jeep um. Auch dort rührte sich keiner von seinem Sitz. Vor ihnen waren einige farbige Lkw-Fahrer aus ihren Kabinen gesprungen und liefen nach vorn. Sie gestikulierten erregt und schrien ein paar Turbanträger an, die neben den Sperren Wache standen. Sie brachten sie schließlich dazu, die Straße freizugeben, und die Schlange der wartenden Fahrzeuge setzte sich langsam wieder in Bewegung.
    Jung atmete erleichtert aus. Schumann drehte sich nach dem Jeep um. Er folgte ihnen. Jung lehnte sich zurück und erkundigte sich beim Fahrer, ob er Funkkontakt zum Jeep habe. Der Bootsmann hob wortlos ein Walkie-Talkie in die Höhe und legte es neben seinen Sitz wieder auf den Fahrzeugboden.
    Ihre Fahrt verzögerte sich noch einmal, als die Straße vor einem trockenen Flussbett zur Geröllpiste wurde. Ein Lkw war mit Achsschaden liegen geblieben und blockierte die Fahrspuren. Es dauerte lange, bis der Verkehr an der Unfallstelle vorbeigeleitet werden konnte. Aber Jungs Geduld und die seiner Begleiter wurde dadurch nicht groß strapaziert. Sie ertrugen die aufgezwungene Rast, als sei sie ihnen willkommen.
    Kurz danach verließen sie die N 1 und bogen rechts ab auf die N 9 nach Randa und Tadjoura. Der Verkehr brach schlagartig ab und bis Tadjoura

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