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Kielwasser

Kielwasser

Titel: Kielwasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinhard Pelte
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begegnete ihnen kein fremdes Fahrzeug mehr. Sie waren allein. Zu ihrer Überraschung wurde die Straße zu einer glatten, geräuscharmen Asphaltbahn, wie sie auch in Europa selten zu finden war. Sie kamen gut voran.
    Die Landschaft veränderte sich. Es wurde gebirgiger. Aus der gewellten Geröllebene erhoben sich immer größere Basaltrücken. Gewaltige Brocken kantigen, fast schwarzen Gesteins ragten aus ebenso schwärzlichen Geröllhalden hervor. Als die Straße zurück an die Küste führte, erhob sich vor ihnen ein gewaltiger, runder Buckel aus dem Meer.
    »Der Ghoubet!«, rief ihnen der Fahrer zu. »Beliebtes Ausflugsziel der Franzosen. Man kann hier am Strand picknicken und baden, vor allem tauchen.«
    Über den Bergketten im Westen hatten sich die kleinen Türmchenwolken inzwischen zu beeindruckenden Klötzen mit dunkler Basis entwickelt. Jung konnte aus dem fahrenden Auto den weißen Türmen beim Wachsen in den blauen Himmel zusehen.
    Auf einer Anhöhe erreichten sie schließlich eine weitere Weggabelung. Links ging es zum Lac Assal, dessen salzweißer Ufersaum in der Ferne blitzte. Dazwischen stieg an mehreren Stellen weißer Dampf aus den zerklüfteten Bergzügen. Jung erinnerte sich schwach an seinen Geografieunterricht aus der Schulzeit. Danach mussten sie hier auf einer der aktivsten Bruchspalten in der Kruste des Planeten spazieren fahren. Ein besser gesichertes Wissen hätte ihn nicht weiter beruhigen können, gestand er sich ein. So war er froh und erleichtert, als sie rechts nach Tadjoura abbogen, in höher gelegenes Terrain, zu dem sich die Straße in Serpentinen, über Pässe und durch Trockenbetten hinaufschraubte.
    Es gab fast keine Vegetation mehr. Dennoch sahen sie hin und wieder Affen, Ziegen und Kamele. Die Trampeltiere trabten scheinbar ziellos durch die öde Gegend. Jung entdeckte in der Einsamkeit überraschend zwei Frauen in bunten Tüchern. Sie balancierten Wasserkanister auf ihren Köpfen und steuerten eines der Fässer an, die in längeren Abständen am Straßenrand auf Holzrampen aufgebockt waren. Jung waren sie schon vorher aufgefallen.
    »Die Nomaden holen sich ihr Wasser aus den Tonnen. Die Regierung schickt Tanklaster und füllt sie alle paar Tage auf«, antwortete der Fahrer auf Jungs Frage nach den Fässern.
    »Diese Fürsorge hätte ich von dieser Regierung nicht erwartet«, mischte sich Frau Fußmeier ein. Jung stutzte, weil er sie bis hierhin noch kein Wort hatte reden hören. Der Fahrer musste sich jetzt konzentrieren, denn der Abstieg zur Küste wand sich in engen Kehren und durch steile Abfahrten in die Ebene. Die Vegetation war unten sehr üppig: Gräser, Weiden, Pappeln und fette Büsche säumten die Straße, die hier eher einem ausgefahrenen Fahrweg glich als einer Nationalstraße. Vielköpfige Ziegenherden mit ihren Hirten, Esel, Hunde und streunende Katzen zeigten ihnen an, dass sie sich Tadjoura näherten, dem einzigen Ort, der an der Straße zu erwarten war. Kinder standen am Straßenrand, lachten, winkten und liefen neben den beiden Autos her. Schumann wies den Fahrer anzuhalten. Sie schenkten den Kleinen Wasser und Äpfel aus ihren Vorräten. Die drückten die Schätze an ihre schmächtigen Körper und liefen auf ihren dünnen Beinchen eilig davon. Sie rührten Jung und trieben ihm Tränen in die Augen. Angesichts der Freude und Dankbarkeit in den kindlichen Gesichtern kamen ihm seine Probleme banal vor. Er fühlte sich schuldig.
    Bis jetzt waren sie gut vier Stunden unterwegs gewesen. Noch vor dem Ortseingang verwies ein Hinweisschild auf das ›Centre de plongée, Tadjoura. Cinq-cents mètres à droite. Chambres libres. Restaurant ouvert‹. Jung tauschte mit Schumann einen Blick des Einverständnisses.
    »Ich habe Hunger und Durst«, stellte der laut fest. »Daher schlage ich vor, wir essen hier erst mal zu Mittag.«
    »Ganz meine Meinung«, schlug Jung in die gleiche Kerbe. Die Journalistin erhob keine Einwände. Der Fahrer schwieg und betätigte den rechten Blinker, um ihren Nachfolgern frühzeitig ihre Absicht zu signalisieren.
    Sie stellten schließlich die Fahrzeuge auf dem staubigen Vorplatz des Centre de plongée ab. Gegen die Wasserseite schirmte ihn eine lang gestreckte, flache Holzbarracke ab. Sie entpuppte sich als das Restaurant nebst Rezeption. Rechts und links standen mehrere weiß getünchte Riesenschuhkartons auf Betonpfosten aufgebockt, mit schmaler Tür und Bullauge: die Appartements pour vacanciers. In der Mitte des Vorplatzes wuchs eine

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