Kill Decision
sprechen oder versenden, ohne sich mit Echtzeitantworten befassen zu müssen.
Er zog eine Schließkarte aus der Tasche und öffnete seine Bürotür mit einem leisen Biep, biep . Warf dann seine Ledertasche aufs Sofa und durchquerte das große Eckbüro im schummrigen Licht der Notbeleuchtung. Dort an der gegenüberliegenden Wand befand sich sein Lieblingskunstwerk – eine geschliffene blaugrüne Glasplatte, zwei Meter breit, einen Meter zwanzig hoch und zwei Zentimeter dick, auf einem ein Meter hohen Granitsockel. Auf der Platte war eine Weltkarte zu sehen, die mittels eines raffinierten Arrangements von blauen, weißen und roten Lasern und Drehspiegeln ins Herz des Glases projiziert wurde. Sie zeigte die aktuelle «Stimmung» eines jeden Kontinents, erschlossen aus Wörtern, die durchs öffentliche Internet strömten – Daten aus Suchanfragen, Blogs, Social-Media-Einträgen, Wikipedia-Bearbeitungen, Nachrichtenartikeln und dergleichen. Tag-Clouds der zehn Wörter und Wortverbindungen, die im jeweiligen Augenblick am häufigsten in den Adern des Netzes kursierten, füllten die Umrisse des jeweiligen Kontinents. Positive Wörter wie Hoffnung und großartig waren blau dargestellt. Neutrale Wörter weiß und negative Wörter rot. Im Moment schienen die großen roten Lettern des Wortes Angriff halb Nordamerika einzunehmen. Clarke konnte stundenlang zusehen, wie sich die Stimmung der Welt veränderte, ähnlich einer Lavalampe. Bei dem Erdbeben und dem Tsunami in Japan hatten sich die roten Daten schneller über die Welt ausgebreitet als die realen Schockwellen.
Das kunstreiche Werk hatte ihn zweihundertneunzigtausend Dollar gekostet, aber er hätte auch das Doppelte dafür bezahlt. Dank seiner wusste er sofort, was auf der Welt passierte. Es war seine persönliche Kristallkugel. Seit er sie hatte, konnte ihn nichts mehr überraschen.
«Faszinierendes Stück», sagte eine Stimme hinter ihm.
Clarke fuhr erschrocken zu der dunklen Ecke herum, wo sein Lesesessel stand.
«Ich habe in Deutschland so was Ähnliches gesehen. Nur dass es nicht so schön war.»
«Was zum Teufel – wer sind Sie? Wie sind Sie hier reingekommen?» Clarke schob sich vorsichtig in Richtung seines Schreibtischs und seines Telefons.
«Suchen Sie das hier?» Der Mann warf Clarkes Schreibtischtelefon mitten ins Zimmer, wo es sich ein paarmal überschlug und dann liegen blieb. Ein Stück des durchtrennten Kabels hing dran. «Greifen Sie gar nicht erst nach Ihrem Handy. Sie würden nicht dazu kommen zu wählen.»
«Was wollen Sie hier? Ist Ihnen klar, wie streng …» Clarke wich noch weiter zurück, als ein einschüchternder Mann mit kalten blaugrauen Augen in einen Flecken von hereinfallendem Licht trat. Der Eindringling trug einen weißen Plastikkittel, Gummihandschuhe und Plastiküberschuhe. In der einen behandschuhten Hand hielt er ein kurzes Kampfmesser. «O Gott.»
«Sie wussten doch wohl, dass das, was Sie tun, Konsequenzen haben würde.»
Clarke sah sich um und dachte kurz darüber nach, um Hilfe zu schreien.
«Nur zu. Hier hört Sie niemand. Das ist ja wohl Sinn und Zweck dieser Räumlichkeiten.»
Clarke stieß an die Kante seines Schreibtischs. «Ich weiß nicht, für wen Sie arbeiten, aber ich kann Ihnen mehr zahlen.»
«Mir geht es nicht um Geld. Ich will Informationen.»
«Ich sage Ihnen alles, was ich weiß. Kein Problem.»
«Ihre Firma ist Teil einer privaten Informationsgewinnungsoperation. Einer Operation mit dem Ziel, Opposition gegen die Unternehmen Ihrer Klienten aufzuspüren und zu neutralisieren. Richtig?»
Clarke mühte sich, eine Antwort zustande zu bringen. Die Wörter waren vertraut, aber die Emphase eine ganz andere. «Moment, langsam. Wir erfassen Information aus legalen Quellen. Wir vermarkten Ideen. Wir sagen wahrscheinliche Szenarien voraus – was wir machen, ist einfach nur Business Intelligence.»
Der Mann sah ihn finster an. «Sie machen Propaganda, Mr. Clarke, und mir persönlich ist es scheißegal, wie Sie das zu vorgerückter Nachtstunde rationalisieren. Ich will wissen, wer Sie dafür angeheuert hat, autonome Drohnen zu pushen.»
Clarke schwamm. «Drohnen?»
«Wer hat Sie angeheuert?»
«Sie erwarten doch wohl –»
«Wir könnten Ihr Netzwerk knacken, Ihre Banktransaktionen unter die Lupe nehmen, Zahlungen an und von Offshore-Deckfirmen nachverfolgen – aber ehrlich gesagt, Scheiß drauf, dazu habe ich nicht die Geduld. Dreimal hat jetzt irgendein Arschloch versucht, mich durch
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