Kill Decision
Odin, wie sich ein Gewimmel von glimmend roten Punkten und Quadraten über die Stadt legte – es hatte etwas von Ameisen.
«Dieses Layer repräsentiert beobachtbare menschliche Aktivität. Die Punkte sind Menschen, die Quadrate Fahrzeuge. Im Zeitverlauf unterscheidet das System, welcher Teil des Bildes statische Stadt ist und welcher dynamische menschliche Aktivität. Das ist aber noch nicht alles. Innerhalb dieses Menschliche-Aktivität-Layers sammelt EITS mit der Zeit Erkenntnisse über diejenigen Muster menschlichen Lebens, die das normale Hintergrundrauschen der Stadt darstellen – die Norm. Welche Bewegungsmuster von Ort zu Ort werden Tag für Tag eingehalten – wobei jeder getrackte Punkt einen Tripmarker repräsentiert, der in die Datenbank aufgenommen wird. Das Gesamtgewebe dieser Trips ergibt dann ein Verhaltensmuster. Wie konsistent ist dieses Muster? Welcher Teil der Bewohner hält sich an eine Routine, bewegt sich nach einem generellen Zeitplan zwischen gleichbleibenden Orten? Welcher Teil der Bewohner hat keine solche Routine? Das erlaubt es, uns auf Zonen verdächtiger Aktivität zu konzentrieren, einen gemeinsamen Punkt irgendwo in der Stadt, wo sich Individuen, die an früheren ‹Problempunkten› anwesend waren, später versammeln könnten, einen Ort, der der Schlupfwinkel einer Aufständischengruppe sein könnte – die Art von Erkenntnissen, die Ihre Leute bislang durch HUMINT gewinnen mussten. Jetzt erschließt sie uns ein System, das die Gesamtheit der menschlichen Aktivität beobachtet. Sie sich merkt. Ein System, das alles sieht und nichts vergisst.»
Odin betrachtete den Bildschirm, auf dem Lieutenant Gartner den Lobgesang des Generals aufs eindrücklichste visuell untermalte. Odin schien tief in Gedanken. «Bei unseren Aufklärungsaufgaben geht es gewöhnlich darum, ein bestimmtes Individuum zu orten, und dafür reicht Handy-SIGINT. Unsere Knöpfchendreher können bekannte Stimmenmuster isolieren und dann –»
«Sie meinen, solange sich bemannte Horchflüge über dem Zielgebiet durchführen lassen. Wir machen das bereits mit unbemannten Luftschiffen, die wochenlang in der Luft bleiben können.» Der General schob Lieutenant Gartner beiseite und klickte sich durch ein paar Menüs, um ein anderes Informationslayer zu öffnen.
Der Screen wechselte jäh zu einem neuen Feld von Hunderttausenden mehr oder weniger dicht formierter Punkte, die sich durch die Stadt bewegten.
«Sämtliche Handys samt IMEI und der jeweiligen Basisstation. Dieses System vereinfacht das Abhören. Wählen Sie einfach nur das gewünschte Handy aus» – er zoomte ein und klickte auf eine Seriennummer, die sich gerade durch das Zentrum von Brazzaville bewegte – «und Sie können die Gespräche der betreffenden Person aufzeichnen.»
Gesprächsfetzen in einer fremden Sprache kamen über die Lautsprecher.
Der General überließ die Tastatur wieder Gartner und drehte sich zu Odin um. «Eine Kombination von persistenter Telekommunikations- und Videoüberwachung mit der Möglichkeit, zeitlich zurückzugehen und zu sehen, was an einer bestimmten Straßenecke vor zwei Monaten passiert ist, als Sie noch gar nicht wussten, dass es sich bei jemandem um eine relevante Person handelt.» Der General deutete auf ein Bild der riesigen Stadt, übersät mit Punkteclustern. «Dieses System zeigt die Social Map einer ganzen Stadt anhand der Kommunikations- und Geolokationsdaten ihrer Bewohner …»
Lieutenant Gartner vernahm sein Stichwort und ließ ein aus Verbindungsdaten gewonnenes Diagramm auf dem Bildschirm erscheinen – ein dichtes Geflecht, das das Beziehungsnetz der Stadtbewohner abbildete.
Der General ging auf und ab und gestikulierte zum großen Bildschirm hin, während er mit einem guteinstudierten Monolog loslegte. «Eine detaillierte soziale Enzyklopädie. Automatische Erkennung verdächtiger Aktivität …»
Gartner sorgte dafür, dass auf dem großen Bildschirm genau das passierte: Man sah, wie eine Horde junger Kongolesen Autoreifen, die den Rumpf eines anderen Mannes umschlossen, mit Benzin übergossen und anzündeten – mit entsetzlichen Folgen.
«Jetzt haben wir nicht nur die Handys dieser Gruppe, sondern auch die Gesichter.» Das Bild zoomte auf einen Anführer mit Sonnenbrille und Barett ein. «Die Anführer. Ihre Fahrzeuge. Die Schergen – kurz, alles.»
Hier war eine Menge Geld geflossen, dachte Odin. In Vietnam hatte es im Schnitt fünfzigtausend Kugeln gebraucht, um einen Vietkong-Kämpfer zu
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