Kill Decision
mit ihrer Situation. Bei der großen darwinistischen Reise nach Jerusalem gab es immer viele Leute, die keinen Sitzplatz abbekamen, wenn die Musik abbrach – und irgendein Schlaumeier hatte ihnen Waffen verkauft.
Das war es, was die meisten Konflikte auf der Welt hervorbrachte – der Wille der Menschen, zu überleben, es zu etwas zu bringen und sich fortzupflanzen. Mit dem «Bösen» hatte das nichts zu tun. Und Odin, der jahrelang mit solchen Konflikten zu tun gehabt hatte, wusste auch, dass die meisten Kämpfe nur Symptom eines grundlegenderen Problems waren: der Konkurrenz zu vieler Menschen um begrenzte Ressourcen. Und daran änderten auch Kriege nicht viel. Ruanda zum Beispiel war immer noch eins der dichtbevölkertsten Länder Sub-Sahara-Afrikas, auch nach dem Genozid. Das beste Mittel, diese Konflikte zu entschärfen, war es, den Frauen Zugang zu Bildung und Berufschancen zu geben. Unabhängigkeit. Wenn das erst mal griff, ließ das Bevölkerungswachstum nach, und echte Zukunftspläne wurden möglich.
Aber das war keine Strategie, die den Waffenherstellern gefiel.
Odin stand an der Besucherbarriere und studierte eine glimmende Konstellation von HD-Bildschirmen rund um den Kontrollraum. Wuchernde Slumsiedlungen brodelten unter den Eye-in-the-Sky-Plattformen vor sich hin. Eine Masse von Menschen, die nicht wussten, dass sie die Versuchskaninchen bei einem großangelegten Experiment waren.
«Haben Sie EITS schon mal in Aktion erlebt, Master Sergeant?»
«Nein, General.»
Ein uniformierter afroamerikanischer JSOC-Brigadegeneral stand in der Mitte des Kontrollraums, während an den meisten Workstations in den Arbeitsabteilen um ihn herum Kontraktkräfte mit grünen Sichtausweisen saßen. Der General nahm einen Schluck aus einem weißen Al-Qaida-Kaffeebecher. «Willkommen in Stuttgart. Was Sie hier sehen, ist nichts weniger als die Zukunft des Low-Intensity-Conflict-Managements.»
«Ich weiß es zu schätzen, dass Sie etwas Zeit für mich erübrigen konnten, Sir.»
«Die Activity zu unterstützen ist mir immer ein Anliegen.» Er blickte auf die Bildschirme an den Wänden. «Sie mögen ja zu einem anderen Kommandobereich gehören, aber unsere Systeme könnten bei Ihrer Art von Tätigkeit eine enorme Hilfe sein.» Der General streckte die Hand aus und drehte den Besucherausweis an Odins Umhängeband richtig herum. Darauf stand lediglich «Besucher».
«Ich bin sehr gespannt, Sir.»
Der General nahm noch einen Schluck aus seiner Al-Qaida-Tasse.
Odin hatte diese Tassen schon oft in Kommandozentralen gesehen. Sie waren bei den Etappenhengsten sehr gefragt. Al-Qaida war ja hauptsächlich eine Medienorganisation – mit einer Webpräsenz, die Ashton Kutcher vor Neid erblassen ließe. Sie versorgte Dschihadisten weltweit in regelmäßigen Abständen mit ihren Markenträgerfiguren und -produkten. Sie hatte sogar professionell gestaltete Zeitschriften und Zeitungen und eigene Podcast-Realityshows: mit westlicher Videobearbeitungssoftware produzierte Dschihad-Dokumentarfilmchen. Beide Seiten konnten auf die Ironie verweisen, wenn auch mit ganz verschiedenem Tenor. Wenn selbst Terroristen Franchise-Unternehmen betrieben, gab es ja vielleicht doch noch einen gemeinsamen Nenner.
Odin betrachtete wieder die HD-Bildschirme und die Reihen von Kontrollpultoperatoren. Dutzende von Leuten an Supportsystemen. «Man sagte mir, das hier sei ein Testbed – ein Prototyp –, aber es wirkt doch voll betriebsfähig.»
«Für einen begrenzten geographischen Bereich ja. Was Sie hier vor sich haben, ist ein Public-Private-Partnership-Projekt. Mit Hilfe wichtiger Partner aus dem privaten Sektor wurde diese Operationszentrale errichtet, um zu demonstrieren, wie ein wahrhaft übergreifendes Kommandosystem des einundzwanzigsten Jahrhunderts aussieht. Wir glauben, dass diese Technologie eine enorme Zukunft hat.»
«Wir, Sir?»
«Es ist schwer, keine proprietären Gefühle zu entwickeln. Meine Leute und ich haben viel Zeit und Mühe investiert, um sicherzustellen, dass dieses System realen Einsatzerfordernissen gerecht wird.»
Odin wusste eine ganze Menge über die in EITS integrierten Systeme, Gorgon Stare etwa und was die Kontraktfirmen des Verteidigungsministeriums noch so entwickelten: automatisches 3-D-Mapping von Drittweltstädten, Gebäude für Gebäude, oder ARGUS-IR, das autonome Echtzeit-Boden-Gesamtüberwachungs-Infrarotsystem. Es handelte sich um vernetzte, unbemannte Kamera-und-SAR-Plattformen – fliegende optische
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