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Kill Order

Kill Order

Titel: Kill Order Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Gunschera
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Autos. Er drängte sich zwischen ihnen hindurch auf die andere Straßenseite.
    Zuerst steuerte er einen Supermarkt an und besorgte Lebensmittel, eine Schere, Haarfarbe und Kabelbinder. Ein Stück die Straße hinunter fand er ein Waffengeschäft. Er kaufte ein Messer mit feststehender Klinge und Neun-Millimeter-Munition für die Beretta. Zuletzt erwarb er in einem kleinen Stoffladen einen Hedschab, den traditionellen Ganzkörperschleier, der von strenggläubigen muslimischen Frauen auch im Libanon immer noch getragen wurde.
    Auf dem Rückweg zum Wagen beschäftigte er sich zum ersten Mal mit der Frage, wie es weitergehen sollte. Und wer waren die Männer in den Jeeps gewesen? Mossad? Wie konnten die in der kurzen Zeit ein so großes Aufgebot an Leuten stellen? Noch dazu auf feindlichem Territorium? Der Libanon war Sperrgebiet für israelische Agenten. Wurden sie von den staatlichen Behörden erwischt, drohte ihnen die Hinrichtung. Nein. Unwahrscheinlich. Der Mossad konnte eine Operation dieser Größe nicht riskieren.
    Aber wer dann? Oder sah er schon wieder Geister? Ging seine Paranoia mit ihm durch? Waren diese Wagen überhaupt hinter ihm her gewesen?
    Verdammt, er wusste es nicht. Er musste es annehmen. Sie waren dort gewesen, weil jemand sie geschickt hatte. Nach Hawqa, wo er kurze Zeit vorher einen israelischen Agenten außer Gefecht gesetzt hatte. Aber wer hatte da so schnell reagiert?
    Das Gefühl scheinbarer Sicherheit löste sich auf. Es war, als ob der Boden unter seinen Füßen schwankte. Zum Verrücktwerden. Für einen Moment hatte er geglaubt, im Vorteil zu sein. Weil er seinen Feind nun kannte, weil er wusste, wer hinter ihm her war. Aber wer folgte sonst noch seiner Fährte?
    Als er zum Auto zurückkehrte, hatte Carmen sich noch immer nicht bewegt. Er überprüfte ihren Atem und die Pupillen unter den geschlossenen Lidern. Sie brauchten einen Rückzugsort. Er musste Carmen erneut befragen. Wenn jemand ihm erklären konnte, was hier vorging, dann war sie es.
    Von Zgharta aus gab es zwei Richtungen, in die er sich wenden konnte. Im Nordwesten, nur etwa zwanzig Kilometer entfernt, lag Tripoli. Eine große Stadt mit einem Hafen, in der man leicht untertauchen konnte. Allerdings würden seine Verfolger erwarten, dass er sich nach Tripoli wandte. Was waren die Alternativen?
    Zurück nach Hawqa konnte er nicht. Es gab noch eine weitere Strecke, die von Zgharta aus nach Norden führte, bis hoch in den kleinen Ort Ardeh. Von dort aus konnte man über ein Netz kleiner und schlecht ausgebauter Straßen die Berge durchqueren, bis man Hermel im äußersten Norden der Bekaa-Ebene erreichte.
    Dann bestand die Möglichkeit, in Richtung Baalbek weiterzufahren oder die Grenze nach Syrien zu überqueren. Er lächelte schmal, als er den Motor anließ. Das war ein guter Plan. Damit rechneten sie nicht.
     
    *
     
    Carmen kam zu sich mit einem pelzigen Geschmack im Mund. Ihr Kopf dröhnte, ihr ganzer Körper fühlte sich wund an. Sie versuchte, sich zu bewegen und merkte erst dann, dass ihre Hände und Füße gefesselt waren. Ihr war so übel, dass sie sich am liebsten auf der Stelle übergeben hätte.
    „Wo sind wir?“, ächzte sie.
    Es kam keine Antwort. Sie begriff, dass sie auf der Rückbank eines Wagens lag. Grob gewebte Stoffpolster drückten gegen ihre Wange. Schwerfällig wälzte sie sich herum. Die Decke rutschte von ihrem Körper, als sie versuchte, sich aufzusetzen. Der Wagen schlingerte in eine Kurve und brachte sie aus dem Gleichgewicht. Nikolajs Hinterkopf malte sich als dunkle Silhouette gegen den Hintergrund ab. Vor ihnen schlängelte sich eine schmale Straße, gesäumt von dichtem Kiefernwald. Die Sonne hing tief am Horizont.
    „Wohin fahren wir?“
    „Wir suchen einen sicheren Ort.“ Er hielt den Kopf unverändert nach vorn gerichtet, aber warf ihr im Rückspiegel einen Blick zu. Er lächelte sogar. Seine Stimme klang weniger angespannt als zuvor. „Ich weiß, ich wiederhole mich.“
    „Wie lange war ich weg?“
    „Fast vier Stunden.“
    Sie schüttelte den Kopf, bereute die Bewegung aber sofort.
    „Willst du was essen?“
    „Mir ist schlecht.“ Sie richtete sich weiter auf und lehnte ihren Rücken gegen das Türpolster. Eine Zeitlang betrachtete sie die vorbeifliegenden Baumwipfel, das Spiel aus verwischten Blau- und Grüntönen, und versuchte, das Gefühlschaos in ihrem Kopf auszuloten. Ihr Zorn war versickert, und auch die abgründige Leere, die zeitweise jeden klaren Gedanken erstickt hatte.

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