KillerHure
weiß hier, ohne dass schon die gleißende Unbarmherzigkeit der Sahararegion mitschwingt. Das Licht lässt alle Farben leicht ausbleichen, so wie die verwitterten Wände eines geruhsamen Küstendorfes. Zeit scheint keine Rolle zu spielen, die Dinge können genauso gut hundert Jahre ruhen, wie sich von einem Moment auf den anderen völlig wandeln. Leben am Mittelmeer, das ist wie eine Katze, die sich an einem strahlenden Sommermorgen wohlig auf dem Fußabtreter vor der Haustür aalt.
Auf Mallorca war ich auch ein oder zwei Mal, aber nur kurz und auf der Durchreise. Gearbeitet hatte ich hier noch nie. Jetzt, gegen Ende August, werden die zusätzlichen Touristenscharen der Hochsaison von der Hitze und der Sonne einigermaßen in Schach gehalten, nur ab und zu spazieren Pärchen in farbigem Urlaubsoutfit vorbei und bewundern die vielen Boote ringsum, oder ein knallbunt lackierter Bus transportiert eine Pauschalgruppe zu den großen Fähren und Kreuzfahrtschiffen weiter hinten im Hafen. Die Gesichter sehen grau und schemenhaft aus hinter den abgedunkelten Scheiben, wie die verblichenen Mumien in den ägyptischen Grabmälern.
Schon jetzt, am frühen Vormittag, liegt eine flirrende Hitze über dem Beton der Uferstraße, und vom Meer kommt nur der fast unmerklich schwache Hauch einer Brise. Hier im Yachtclub, direkt am und über dem Wasser, ist es aber noch sehr angenehm. Ich genieße einen letzten Kaffee, bevor ich mich gleich wieder an die Arbeit machen werde.
Heute trage ich, neben einer ausgewaschenen weißen Baseball-Kappe und der dünnen, blassroten Bluse von Gap eine blaue Bermuda-Shorts, knapp knielang. Dazu leichte Turnschuhe von Nike. Ich hasse Bermudas normalerweise, viel lieber sind mir Kleider und Röcke. Gern sehr kurze Röcke. Auf meine Beine bin ich ziemlich stolz, die sehen einfach gut aus, und außerdem genieße ich das Gefühl, so luftig wie möglich unterwegs zu sein. Aber die Bermudas gehören zu meiner Arbeitskleidung, genau wie meine dunkelrot gefärbten Haare, die zu einem Pferdeschwanz gebunden sind, der hinten durch die Kappe herausbaumelt.
Vermutlich war es Paul, der junge Hacker, der im Auftrag von Harraf den privaten Computer von Thierry geknackt und all die alten Fotos besorgt hat. Mir liegen also hunderte von digitalisierten Bildern aus dem ehemals glücklichen Familienleben der Familie Friboire vor, die Grabbeigaben einer verblichenen Ära.
Thierry hat Suzanne in Straßburg kennen gelernt, bei seinem ersten Job als Wirtschaftsreferent beim Europarat. Er war frisch von der Uni, die Tinte auf seiner Promotionsurkunde war noch feucht. Sie war im letzten Semester, studierte Literatur und Kunstgeschichte.
Über diese ersten Jahre gibt es wenige Informationen in meinem Dossier, aber viele Fotos. Die Fotos sprechen von unbeschwertem Glück zu zweit. Von gemeinsamen Wanderungen, Segelausflügen, Erlebnistrips zur Akropolis oder zum Petersdom. Interessanterweise zeigt kein einziges der Bilder auch Freunde oder Bekannte oder Kollegen. Immer nur Thierry und Suzanne. Im Café. Am Strand. Auf der Steinmauer einer Brücke, eine riesige Eistüte in der Hand.
1996 die Heirat, 1998 kam Natalie zur Welt. Im gleichen Jahr wechselte Thierry nach Brüssel. Fotos aus einer großen Altbauwohnung. Suzanne auf einer Leiter im Blaumann mit einem Hut aus Zeitungspapier auf dem Kopf und einem Pinsel in der Hand. Fotos vom Baby. Viele Fotos.
Irgendwann in dieser Zeit muss dann etwas passiert sein. Davon erzählen weder die Bilder noch die nüchternen Texte im Dossier. Aber 2003 bekam Suzanne das erste Mal eine ambulante Behandlung und Medikamente. Die Fotos werden plötzlich sehr viel spärlicher. Eines spricht mich besonders an. Suzanne in einem tiefen Lehnstuhl, Natalie in den Armen. Das Mädchen, etwa sechs oder sieben Jahre alt, schaut mit so viel banger Erwartung zu seiner Mutter auf, dass es mir die Kehle zuschnürt. Suzanne blickt in die Kamera. Ihre Augen zeigen keinerlei Ausdruck. 2006 kommt sie in ein Sanatorium in der Nähe von Arles. Keine Bilder mehr.
Ich bin vierundzwanzig Jahre alt. So alt war Suzanne, als Thierry sie geheiratet hat. Die Fotos aus dieser Zeit zeigen sie mit langen, roten Haaren, oft zu einem Pferdeschwanz gebunden. Und meist mit langen, eleganten Kleidern oder in Hosen. Im Sommer kurze Hosen. Anscheinend mochte sie keine Röcke.
Es gibt genügend Punkte, in denen wir uns unterschieden. Suzanne hat ein dreieckiges Gesicht mit einer Stupsnase, meines ist schmaler. Ihre Augen sind
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