Killervirus - Gerber, R: Killervirus - Heartstopper
mangelnde Entschlossenheit in großen nationalen Fragen wie Krieg, Gesundheitsreform und Terrorismus unterstellten? Ihre Arbeit im Kongress sei zwar beeindruckend, hieß es, aber ihre Qualitäten als »Macherin« ließen noch zu wünschen übrig. Drei Dinge wurden ihr besonders zur Last gelegt:
Neal gehörte nicht zu den Falken ihrer Partei.
Neal war eine Frau.
Neal war noch dazu eine äußerst attraktive Frau.
In der Verfassung steht nicht, dass der Präsident einen Penis haben muss, dachte sie wütend.
Trotzdem hatte sie sich einen Penisersatz zugelegt, den
sie bei Parteitagen und Spendengalas wie ein virtuelles Gemächt zur Schau trug: Hands Against Terrorism.
Als sie, ein paar Wochen nachdem Rudy Collins sie auf die Idee zur längsten Menschenkette der Welt gebracht hatte, damit an die Öffentlichkeit getreten war, hatte sich ihr Bekanntheitsgrad in der Bevölkerung binnen kürzester Zeit verdreifacht. Auch in der Achtung ihrer Parteifreunde und politischen Gegner war sie wie eine Rakete nach oben geschossen. Als sie sich jedoch für die Präsidentschaftskandidatur 2012 ins Gespräch gebracht hatte, da hatten die Spitzen der Partei plötzlich gemauert. »Mit uns gibt es keinen weiblichen republikanischen Präsidenten, keine Chance, Frau Senatorin.« Das war die offizielle Haltung der Partei. »Frauen haben eine viel zu weiche Haltung in Sachen Terrorismus und Verteidigungspolitik.« Und was war mit Margaret Thatcher in England, mit Angela Merkel in Deutschland, mit Wu Yi in China? Zählten die für die Betonköpfe in der Partei etwa nicht? »Das wirst du nicht mehr erleben, Kathy, dass die Republikaner noch einmal eine Frau in den Präsidentschaftswahlkampf schicken«, sagte ihr Ehemann Raymond immer wieder zu ihr. »Das Debakel mit Sarah Palin steckt ihnen noch zu tief in den Knochen.«
Aber Kathleen Neal war nicht irgendeine Frau, und sie hatte ihre gegenwärtige Position nicht dadurch erreicht, dass sie klein beigegeben hatte. Sie war wild entschlossen, die Spitzen ihrer Partei eines Besseren zu belehren. Die Menschenkette war nur ein Meilenstein an ihrem Weg nach oben, dessen Endpunkt das Weiße Haus sein würde. Sie
würde ihren Parteifreunden, allen Amerikanern und der ganzen Welt zeigen, wie stark sie war, nämlich stärker als jeder Mann. Je eindrucksvoller die Menschenkette am Montag wurde, desto mehr politisches Kapital und Einfluss würde Kathleen Neal gewinnen. Schon jetzt hatte sie eine noch nie dagewesene, über alle Parteigrenzen hinweg reichende Unterstützung für H.A.T. mobilisiert: Siebzig Senatorinnen und Senatoren würden sich auf den Stufen des Kapitols in die Menschenkette einreihen, zusammen mit vielen Kongressabgeordneten und einundvierzig Botschaftern aus aller Herren Länder. Im Nationals Park Baseballstadion würde sich die Kette dann mit Größen aus dem Showbiz wie George Clooney, Steve Martin und Stephen Spielberg fortsetzen.
Neals Blackberry summte wieder. Sie warf einen Blick auf das Display und las den Namen des Anrufers. Dr. Martin Larrick.
»Guten Morgen, Martin«, sagte Neal. »Sie wollen mir vermutlich mitteilen, dass CardioPatch endlich zugelassen wurde, oder?«
»Noch nicht, aber bald«, erwiderte Larrick mit seiner lauten, texanischen Stimme. »Allerdings rufe ich nicht deshalb an. Ich wollte mit Ihnen über einen seltsamen Vorfall in Virginia reden …«
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09:36 UHR
ZWEIGSTELLE DER FDA, WASHINGTON, DC
Als Ben Maxwell den Computer im Konferenzraum des Washingtoner FDA-Büros abschaltete, überkam ihn ein wehmütiges Gefühl. Auch wenn er im Innersten seines Herzens nie ein Bürokrat werden würde, hatte er die Arbeit bei der FDA im Großen und Ganzen doch als ziemlich befriedigend empfunden - und allemal sinnvoller als seine vorherige Beschäftigung beim Pharmakonzern ChemGen, die vor drei Jahren in einem Desaster geendet hatte. Immerhin hatte er dort gelernt, dass man sich gegen alle Eventualitäten absichern musste. Aus genau diesem Grund hatte er sich auch in der vergangenen Nacht sämtliche Berichte und Unterlagen, die er als elektronische Dokumente auf den Servern der Behörde abgelegt hatte, auf einen privaten USB-Stick kopiert. Man konnte schließlich nie wissen, ob man sie nicht irgendwann nochmal brauchen würde. Behörden konnten mitunter ziemlich nachtragend sein, da war es gut, wenn man die Ergebnisse seiner Arbeit dort auch nach Jahren noch lückenlos belegen konnte.
Als das Telefon neben dem Computerterminal klingelte, überlegte sich
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