Killing God
zwei Männer und eine Frau. Die Männer saßen auf der Couch und die Frau im Sessel. Dad hockte mit gekreuzten Beinen vor ihnen auf dem Boden. Die Männer (beide in den Zwanzigern) hatten blasse Gesichter und trugen billige schwarze Anzüge, die Frau (die um die sechzig war) hatte eine braune Wolljacke und einen langen, irgendwie rüschigen schwarzen Rock an. Alle hielten Bibeln in der Hand und alle hattendieses dämliche Gottesverkäufer-Lächeln in ihren Gesichtern stehen.
Auch Dad lächelte.
Und er hatte eine Bibel in der Hand.
Und seine Augen …
Gott, seine Augen.
Obwohl es dieselben von Alkohol benebelten Augen waren, die ich inzwischen so gut kannte – unkonzentriert, gerötet, verquollen, trüb –, waren es trotzdem nicht mehr
seine
Augen. Es waren die Augen von jemand, der glaubt, er hätte die Antwort auf alles gefunden.
Es war total beängstigend.
Etwa eine Woche später wurde Dad trocken.
Er hörte auf zu trinken.
Er hörte auf, Drogen zu nehmen.
Und ersetzte beides durch Gott.
(i’m going to the darklands)
Das war die schlimmste Zeit für mich, als Dad gottsüchtig wurde. In den ersten paar Wochen machte er nichts anderes, als im Wohnzimmer die Bibel zu lesen – Tag und Nacht. Er hörte auf zu essen, er hörte auf wegzugehen, er hörte auf, sich zu waschen, er hörte auf, seine Sachen zu wechseln. Und er schlief bloß noch, wenn er es körperlich überhaupt nicht mehr schaffte, die Augen aufzuhalten. Seine einzige Beschäftigung bestand darin, Stunde um Stunde dazusitzen wie ein Besessener (was er wohl auch war) und jedes Wort derBibel aufzusaugen. Manchmal murmelte er leise vor sich hin, wenn er bestimmte Stellen unterstrich oder kleine Notizen an den Rand schrieb, aber die meiste Zeit schwieg er.
Das war nicht mein Dad.
Das war ein anderer.
Etwas
anderes.
Ein anderer Dad.
Selbst als er wieder ein bisschen mehr wie früher wurde – wegging, sich mit den falschen Leuten traf … wieder trank –, war er nicht mehr mein Dad. Plötzlich fing er schon morgens, gleich nach dem Aufwachen, an zu trinken (und die Bibel zu lesen), kippte den Rest aus der Flasche vom Vorabend runter und hörte nicht auf zu trinken (und die Bibel zu lesen), bis er umfiel. Es war fast, als ob er eine Art Wiedergeburt als Alkoholiker erlebt hätte. Als ob er in der Rückkehr zum Trinken gefunden hätte, wonach er suchte – seine Erlösung –, nur dass das Trinken jetzt mit Gott zusammengemixt war, wobei ein ganz ekelhafter Cocktail herauskam. Und es war der Gott-Teil von dem Cocktail, der mich in Stücke riss. Ich meine, es hatte mir auch nicht
gefallen
, als er nur Junkie oder nur Alkoholiker war, aber wenigstens war er da noch mein Dad gewesen. Selbst wenn er total neben der Spur war, hatte er immer noch was von seiner Dadhaftigkeit gehabt. Aber jetzt, nachdem er Gott gefunden hatte … irgendwie saugte das alle Dadhaftigkeit aus ihm raus. Es saugte einfach alles aus ihm raus – sein Hirn, seine Seele, sein Leben, seine Liebe …
Ich hasste ihn.
Mum hasste ihn.
»Das bringt ihn um«, sagte sie einmal zu mir. Und sie hatte recht.
Aber das war noch nicht das Ende …
(oh something won’t let me
go to the place
where the darklands are)
Grund 4 : Es gibt keinen Grund 4.
head (1)
Ich sitz noch immer mit Jesus und Mary auf meinem Bett, noch immer versunken in meine Dad-Gedanken und meine Gott-Gedanken, und die alles überflutende Schönheit von
The Jesus and Mary Chain
wirbelt dunkel durchs Zimmer, als sich plötzlich die Hundeohren aufstellen, Jesus und Mary vom Bett springen und wie verrückt die Zimmertür ankläffen. Es ist ihr Jemand-ist-an-der-Haustür-Bellen
(RAURAURAURAURAURAURAU)
, was mich irgendwie überrascht, denn der Wecker auf meinem Nachttisch zeigt 22.39 Uhr … nicht dass das
spät
ist oder so. Ich meine, als Dad noch da war, konnte es die ganze Nacht vorkommen, dass irgendwer klingelt. Aber Dad ist nicht mehr da. Und zu Mum und mir kommen nicht viele, schon gar nicht um die Uhrzeit.
Deshalb die Überraschung.
Egal, bis ich jedenfalls vom Bett aufgestanden bin, die Musik leise gestellt, Jesus und Mary aus dem Zimmer gelassen hab und sie die Treppe runtergewetzt sind
(RAURAURAURAURAURAURAU)
, hör ich schon Mum, wie sie die Tür aufmacht und zögernd jemand begrüßt.
»Wer ist es, Mum?«, ruf ich und geh die Treppe runter.
Bei dem aufgeregten Gekläffe kann ich nicht viel verstehen, aber was ich hör, klingt nicht so schlimm. Ich meine, es
klingt
nicht nach jemand, den Mum
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