Kim Novak badete nie im See von Genezareth
gerade nicht an den Riemen war, lag meistens vorn im Boot halb auf dem Bauch und hielt Ausschau, auf die Strände und ins schlammige Wasser, alle Sinne aufs Äußerste gespannt, um auch ja nicht das erste Zeichen eines herannahenden Krokodils zu verpassen. Oder einer Wasserschlange. Oder eines Indianers.
***
Oder er dachte an Britt Laxman.
» Das Blockhaus am Lingkingfluss«, sagte Edmund an einem dieser ersten Tage. »Hast du das gelesen?«
»Nein«, sagte ich. »Ich glaube nicht.«
»Verdammt gutes Buch. Das hier erinnert mich dran. Es spielt auch an einem Hochsommertag, Erik. Verflucht noch mal, ich hoffe, es geht nie zu Ende.«
»Natürlich tut's das nicht«, erklärte ich. »Wirf mir mal einen Lakritzstreifen rüber.«
»Ay, ay, Käpt'n«, erwiderte Edmund. »Übrigens, was meinst du: Ob Fräulein Laxman vielleicht eines schönen Tages mal Lust auf eine Bootsfahrt hätte?«
»Weißer Mann reden mit gespaltener Zunge«, sagte ich. »Die Laxmans sind verdammt gläubig. Sie ist todsicher hinter dem Tresen festgekettet.«
»Hm«, meinte Edmund. »Dann müssen wir nächstes Mal Schusswaffen und eine Metallsäge mitnehmen. Ich kann ihr doch ansehen, dass sie zu allem bereit ist, was ein junger Mann sich so wünscht.«
»Kommt Zeit, kommt Rat«, erklärte ich. Das war ein Zeichen, dass ich das Thema wechseln wollte, und ganz richtig verfolgte Edmund diese Spur nicht länger. Wie gesagt, er war sehr aufmerksam, der Edmund. Außergewöhnlich aufmerksam.
***
Zwischen Genezareth und dem Ferienhausgebiet Sjölycke gab es, wie wir es nannten, zwei richtige Häuser.
Das Erste, das uns am nächsten lag, war eine rote Bruchbude direkt am Seeufer, umwachsen von Schilf und Erlen, Himbeersträuchern und Brennnesseln.
Und unzüchtigem Laubwald, wie mein Vater immer mit einem wissenden Lächeln behauptete, dessen tiefere Ursache ich jedoch nie verstand.
Wenn das Haus bewohnt war, dann lebten darin irgendwelche Mitglieder der Familie Lundin, aber oft stand es auch leer, da die männlichen Lundins häufiger für das ein oder andere im Kittchen brummten, während die weiblichen Lundins Huren, Nackttänzerinnen oder Puffmütter waren und es vorzogen, sich mehr in städtischen Gefilden aufzuhalten.
Der berüchtigtste Lundin war ein gewisser Evert, der bereits in jungen Jahren einen Polizisten mit einem Messerstich von hinten fast umgebracht hätte und auf dessen Konto danach Bankraub, Brandstiftung und mehrere Körperverletzungen gingen. Soweit ich hatte erforschen können, verprügelte er am liebsten zart besaitete Frauen, aber wenn solche nicht zu kriegen waren, dann maß er auch gern seine Kräfte mit Rentnern oder Kindern. Es hieß, er wäre Analphabet und hätte trotz emsigen Trainings nie gelernt, links und rechts zu unterscheiden, aber über die Familie Lundin wurde sowieso immer viel geredet.
Man kann sagen, dass wir den Parkplatz mit den Lundins teilten, denn weder zu deren Haus noch zu unserem Genezareth konnte man mit einem Fahrzeug gelangen.
Stattdessen gab es oben an der Straße eine kleine Lichtung, wo man Autos, Fahrräder und Mopeds parken konnte. Dann musste man die letzten hundert Meter einen holprigen Pfad entlanggehen. Im Falle der Lundins hundertfünfzig Meter. In die entgegengesetzte Richtung natürlich. Der Genezarethweg und der Lundinweg unterschieden sich gewaltig.
Wie der breite und der schmale Weg in der Bibel, so hatte meine Mutter es mir einmal erklärt.
Obwohl der Lundinweg holprig und eng war, weshalb es eigentlich nicht ein so ganz passender Vergleich war.
Das andere so genannte Haus war eine alte Soldatenkate, die in einer Biegung hinter dem sich schlängelnden Kiesweg durch den Wald lag, ein gutes Stück vom See entfernt. Hier wohnten die Levis, ein altes jüdisches Ehepaar, das Treblinka überlebt hatte und das mit keinen anderen Menschen verkehrte. Sie kauften einmal in der Woche bei Laxmans ein, wobei sie dorthin beide auf einem alten Tandem mit Anhänger fuhren, den sie mit den Vorräten für die kommende Siebentageperiode füllten.
Zu der damaligen Zeit wusste ich nicht genau, was es hieß, dass sie Treblinka überlebt hatten, eigentlich nur, dass es etwas so Schreckliches war, dass man nicht darüber sprach.
Mein Vater nicht, meine Mutter nicht und auch sonst niemand. Man konnte fast den Eindruck gewinnen, dass es besser gewesen wäre, wenn sie in Treblinka gestorben wären. Wenn ich auf dem Rad an der friedlichen Kate im Wald vorbeifuhr, dachte ich immer,
Weitere Kostenlose Bücher