Kim Novak badete nie im See von Genezareth
Beine im Wasser. Den Proviantbeutel in Reichweite. Das Kofferradio eingeschaltet. Dion war am Singen, daran erinnere ich mich noch. Und Lill- Babs mit Klas-Göran.
»Beine auch«, korrigierte ich ihn.
»Erfrischt Beine«, nickte Edmund.
»Ganz genau.«
»Ein Butterbrot?«, fragte Edmund.
»Noch nicht.«
»Vielleicht durstig?«
»Oh ja.«
»Prost, Bruder.«
»Selber Prost.«
»Schönes Leben.«
»Ja, klar.«
»Ein Wort!«
»Zwei Worte!«
»Ja... klar?«
»Ja, natürlich.«
»Nicht jaklar?«
Ich war an der Reihe, und um zu zeigen, dass ich diese Haarspalterei leid war, schwieg ich. Nach einer Weile fing Edmund an, übertrieben künstlich zu husten, ich wollte gerade sagen: »Sei still!«, konnte mich aber gerade noch zurückhalten. Stattdessen saß ich lange da, in der Sonne, hatte die Augen geschlossen und kontrollierte das Schweigen zwischen uns.
Es war, als hätte man Macht über etwas, über das man sonst eigentlich keine Macht hatte. Worte. Die Sprache.
Gleichzeitig war es ein komisches Gefühl. Wie es schnell
entsteht, wenn man über eine Sache ein wenig zu lange nachdenkt.
***
»Dein Vater?«, fragte ich, ohne die Augen zu öffnen. »Mein Vater?«, wiederholte Edmund. »Hat Zeitschriften?«, fragte ich weiter. »Nix verstehen«, sagte Edmund. »Besondere Zeitschriften«, erklärte ich. Edmund seufzte.
»Besondere Zeitschriften«, sagte er mit müder Stimme. Ich dachte nach. »Entschuldige bitte«, sagte ich.
Edmund reckte einen Fuß hoch und spreizte die Zehen, sodass die rosa Narbe ungewöhnlich gut zu sehen war.
»Keine Ursache«, sagte er. »Magen knurrt«, sagte ich.
»Meiner auch«, nickte Edmund.
***
Am Samstagmorgen kam Henry zu uns hoch und weckte uns.
»Ich fahre in die Stadt«, sagte er. »Ihr kommt doch allein klar, nicht wahr? Zum Mittag gibt es noch Würstchen und Kartoffelpüree. Wahrscheinlich wird es später werden, ihr müsst heute allein zurechtkommen.«
»Was hast du denn vor?«, fragte ich.
Henry zuckte mit den Schultern und zündete sich eine Lucky an.
»Hab einiges zu erledigen. Übrigens.«
»Ja?«
»Wolltet ihr nicht heute Abend in den Lackapark?«
»Möglich«, sagte ich. »Warum?«
Henry rauchte eine Weile und schien nachzudenken.
»Wir brauchen ein Zeichen«, sagte er.
»Ein Zeichen?«, fragte Edmund.
Es war ungewöhnlich, dass Edmund sich einmischte, wenn Henry und ich miteinander sprachen, und Henry betrachtete ihn mit gespielter Verwunderung.
»Falls ich eine Braut mitbringe«, sagte er.
»Ach so«, sagte ich.
»Na, klar«, sagte Edmund.
»Hört mal her«, fuhr Henry fort, nachdem er noch zwei Züge von seiner Lucky genommen hatte. »Wenn um die Fahnenstange ein Schlips gebunden ist, dann bedeutet das, dass ihr direkt hochgeht und euch schlafen legt, falls ihr später als ich nach Hause kommt. Okay?«
Edmund und ich nickten einander zu.
»Geht klar«, sagte Edmund. »Ein Schlips am Fahnenmast.«
»Dann ist es ja gut«, sagte Henry und verschwand.
Zurück blieb eine Spur von Rauch und Verwunderung im Zimmer. Wir blieben noch eine Weile liegen und warteten, dass es sich legen würde. Dann hörten wir, wie Henry unten die Tür zuschlug und sich auf den Weg machte.
»Dein Bruder mag mich nicht«, sagte Edmund nach ein paar Minuten.
Ich überlegte, was ich darauf antworten sollte.
»Natürlich mag er dich«, sagte ich schließlich. »Warum sollte er nicht?«
»Es macht nichts«, wiegelte Edmund ab. »Du brauchst nicht zu tun, als wenn nichts wäre.«
Krebs-Treblinka-Liebe-Bumsen-Tod, dachte ich. Warum sollte ich so tun, als ob?
»Keine Ahnung, wovon du redest«, sagte ich und ging hinaus aufs Klo.
An unserem ersten Samstag blieben wir vormittags eine Stunde unten an den Sjölyckestegen, aber dort trieben sich nur Erwachsene und Kleinkinder herum, die ins Wasser pissten, deshalb ruderten wir gegen zwölf Uhr lieber zur Scheißinsel.
Ich hatte aus Henrys diversen geöffneten Zigarettenschachteln sechs Lucky Strike gemopst, und so lagen wir dort zwischen dem Vogeldreck, tranken Apfelsaft und rauchten, während wir die Sendung für die Autofahrer und die Sommerhitparade hörten. Das Wetter war genauso schön und heiß wie an den vorangegangenen Tagen, und Edmunds Haut auf dem Rücken begann sich bereits zu schälen. Wir spielten eine Weile Zwei-Wort-Sätze, wurden dessen aber bald überdrüssig, und eigentlich redeten wir überhaupt nicht viel miteinander.
Wie schon gesagt war es kein Problem, mit Edmund zu schweigen. Wir lagen da und
Weitere Kostenlose Bücher
Eis und Dampf: Eine Steampunk-Anthologie (German Edition) Online Lesen
von
Mike Krzywik-Groß
,
Torsten Exter
,
Stefan Holzhauer
,
Henning Mützlitz
,
Christian Lange
,
Stefan Schweikert
,
Judith C. Vogt
,
André Wiesler
,
Ann-Kathrin Karschnick
,
Eevie Demirtel
,
Marcus Rauchfuß
,
Christian Vogt