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Kim Novak badete nie im See von Genezareth

Kim Novak badete nie im See von Genezareth

Titel: Kim Novak badete nie im See von Genezareth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Håkan Nesser
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dass die Welt wohl so aussah. Sie war so schlimm, dass man gar nicht versuchen sollte, gewisse Sachen zu verstehen. Besser war es, sie in Ruhe zu lassen; und die Worte, die man dafür benutzte, sollten am liebsten wie Pflaster wirken, die die Wunden unsichtbar machten und sie zum Schweigen brachten.
    Die Welt, sowohl das Gute in ihr als auch das Schlechte, das sie beherbergte, war um ein Unendliches größer als das, was wir benennen konnten, das hatte ich verstanden, und es war eine Tatsache, die mich sonderbar ruhig und zugleich erschrocken werden ließ.
    Ich weiß nicht, warum.
     
    ***
     
    »Was hat deine Mutter eigentlich?«, fragte Edmund eines Nachmittags, als wir nach Fläskhällen geradelt waren, um uns ein Eis zu kaufen. Wir saßen an dem grauen Tisch aus Knüppelholz gegenüber vom Sandstrand, der vollkommen menschenleer war, da es ein bewölkter Tag war. Ich knabberte von meinem Nusseis ringsherum die Schokolade ab, bevor ich antwortete.
    »Krebs«, sagte ich dann.
    »Aha«, sagte Edmund, als hätte er verstanden. Ich glaubte nicht, dass er das Wort verstand. Krebs war auch eines dieser Worte. Wie Treblinka. Wie Tod. Wie Bumsen.
    Ich wollte nicht drüber reden. Liebe?, überlegte ich im Stillen. Gehörte das auch dazu?
    Und während wir still dasaßen, unser Eis leckten und die Einritzungen auf dem Tisch betrachteten - alle die Herzen und all die Mösen und Schwänze und Bengt-Göran am 22/7/1958 - da dachte ich den ganzen Vers.
    Krebs-Treblinka-Liebe-Bumsen-Tod.
    Mir war klar, dass es das alles auf der Welt gab. Es gab es, es gab es, und später, den ganzen Sommer über, tauchte diese Litanei immer wieder in meinem Kopf auf, genau diese fünf
    Worte, wie ein sinnloses Gebrabbel. Nein, vielleicht doch nicht so sinnlos, eher wie eine Art Schuss auf etwas, das ich begriff, aber nicht begreifen wollte, glaube ich.
    Etwas fast Peinliches, für das sich die ganze Welt nicht nur ich - schämte. Pflastersprache.
    Natürlich ganz besonders, wenn wir bei Levis vorbeifuhren.
    Krebs-Treblinka-Liebe-Bumsen-Tod.
    Ich brauchte sie, diese Worte. Manchmal überlegte ich, ob sie wohl ein Zeichen dafür waren, dass ich langsam wahnsinnig wurde.
    ***
    »Dein Bruder Henry«, sagte Edmund an einem anderen Nachmittag. »Was schreibt der eigentlich?«
    »Ein Buch«, erklärte ich.
    »Ein Buch?«, wiederholte Edmund. »So eins wie Rex Milligan immer dabei?«
    Das gehörte zu seiner mitgebrachten Büchersammlung. Wir beide hatten es schon ein paar Mal gelesen, und ich gab ihm dahingehend Recht, dass es wirklich große Superklasse war. Rex Milligan immer dabei von Anthony Buckeridge.
    »Nein«, entgegnete ich. »Ich glaube, es ist was anderes. Irgendwas Ernstes.«
    Edmund runzelte die Stirn und nahm seine Brille ab. Er hatte sie für den Sommer neu bekommen, und sie war noch immer heil, obwohl schon fast eine Woche der Ferien vergangen war.
    »Es ist nicht schlecht, ernst zu sein«, erklärte er. »Ich glaube, es ginge uns allen auf der Welt besser, wenn die Leute etwas ernsthafter wären.«
    Ich hatte noch nie jemanden in unserem Alter so etwas sagen hören, noch nicht einmal eines dieser Mädchen in der Klasse, die immer ihre Hand hochstrecken mussten, aber als ich darüber nachdachte, freute ich mich richtig.
    »Ich auch«, sagte ich.
    Gleichzeitig war es auch etwas beunruhigend.
    »Aber er darf nicht zu weit führen, der Ernst«, meinte Edmund nach einer Weile. »Sonst kann man sozusagen darin hängen bleiben.«
    »Wie in einem Sumpf«, sagte ich.
    »Genau wie in einem Sumpf«, bestätigte Edmund.
    Dann redeten wir nicht weiter über die Sache.
     

***
     
    Während der ersten Woche draußen in Genezareth war das Wetter gemischt, aber meistens schön. An dem Tag, an dem wir zur Möwenscheißinsel ruderten und nur Zwei-Wort-Sätze wechselten, war es brütend heiß, und wir badeten vom Boot aus und auf der Insel. »Unerträglich heiß«, sagte Edmund.
    »Deiner Meinung«, sagte ich.
    »Vielleicht rudern?«, fragte Edmund.
    »Danke, ja«, antwortete ich.
    »Will baden«, sagte Edmund.
    »Ich später«, sagte ich.
    Die Regeln waren einfach. Jede Äußerung musste zwei Worte enthalten, nicht mehr, nicht weniger. Wir mussten immer abwechselnd sprechen, einmal Edmund, dann ich. Wenn jemand den anderen zwingen wollte, zu schweigen, musste er nur den Mund halten.
    »Wasser erfrischt«, sagte ich.
    »Jedenfalls Füße«, stimmte Edmund zu.
    Wir hatten uns in einer Felsspalte mit der richtigen Neigung zum Anlehnen niedergelassen. Die

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