Kim Novak badete nie im See von Genezareth
mein Vater 1976 starb, fand ich das ihm gewidmete Exemplar des Buchs unter seinen Hinterlassenschaften; es war bis zum Schluss aufgeschnitten, aber zwischen den Seiten 18 und 19 lag ein Einkaufsbon als Lesezeichen.
Meine vom Elch verletzte Tante starb wenige Wochen vor meinem Abitur im Irrenhaus von Dingle. Wir konnten Genezareth zu einem ganz guten Preis verkaufen, und als ich im Herbst anfing, theoretische Philosophie zu studieren, konnte ich in eine eigene Eineinhalbzimmerwohnung in der Geijersgatan ziehen. Zu der Zeit war meine Jungfernschaft nur noch eine sehr schwache Erinnerung. Auch wenn ich nicht so ein Rick-Nelson-Typ war wie mein Bruder, hatte ich doch ein gutes Verhältnis zum anderen Geschlecht. Studentinnen gingen bei mir ein und aus, und schließlich kam eine, die bei mir blieb.
Sie hieß Ellinor, und Anfang der Achtziger war es uns bereits gelungen, drei Kinder in die Welt zu setzen. Da war auch die Geijersgatan nur noch eine Erinnerung. Wir hatten uns in Norby zwischen Bürgern und Buchsbaumhecken ein Haus gekauft, ich arbeitete als Gymnasiallehrer für Geschichte und Philosophie, und in der Zeit, in der Ellinor nicht zu Hause blieb und unsere Kinder großzog, war sie als medizinischtechnische Assistentin bei Pharmacia in Boländerna tätig.
An einem Abend im Mai, Mitte der achtziger Jahre, hatte der Express einen zweiseitigen Artikel über nicht aufgeklärte Morde in Schweden in seiner Ausgabe, mit Betonung auf die Verbrechen, die bald oder in wenigen Jahren verjährt sein würden.
Einer dieser Fälle war der Bertil-Albertsson-Mord. Wir saßen draußen im Garten, Ellinor und ich, der Flieder fing an zu blühen, und zum ersten Mal erzählte ich ihr von den
Ereignissen in Genezareth Anfang der sechziger Jahre. Als ich erst einmal angefangen hatte, merkte ich bald, welche Faszination das alles bei meiner Frau auslöste, und ich gab mir wirklich Mühe, alles, an was ich mich noch erinnerte, aus dem Sumpf des Vergessens und der Vergangenheit hervorzuholen. Wobei ich natürlich das eine oder andere Detail ausließ - auch wenn wir ansonsten ein sehr offenes und unverkrampftes Verhältnis zueinander hatten, spürte ich doch eine gewisse Scham, als ich mich daran erinnerte, wie Edmund und ich damals vor dem Fenster masturbiert hatten, während Henry und Ewa Kaludis sich drinnen liebten. Nur als Beispiel.
Als ich mit meiner Erzählung zu Ende war, fragte meine Frau:
»Und Edmund? Wie ist es Edmund ergangen?«
Ich zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Genauer gesagt, nicht die geringste.«
Meine Frau sah mich etwas verblüfft an und zeigte genau die Falte auf der Stirn, die bedeutete, dass ich sie irgendeiner tief verwurzelten männlichen Unbegreiflichkeit ausgesetzt hatte. Mal wieder.
»Meine Güte«, sagte sie. »Du willst doch wohl nicht sagen, dass ihr danach einfach den Kontakt abgebrochen habt?«
»Meine Mutter starb dann«, warf ich ein. »Und wir sind weggezogen.«
Meine Frau nahm die Zeitung hoch und las die Kurzfassung des Mordfalls noch einmal durch. Danach lehnte sie sich auf ihrem Gartenstuhl zurück und dachte eine Weile nach.
»Wir werden ihn suchen«, erklärte sie dann. »Wir werden ihn suchen und zum Essen einladen.«
»Den Teufel werden wir tun«, sagte ich.
***
Es war einfacher als gedacht, Edmund Wester zu finden. Ich selbst rührte keinen Finger in dieser Sache, aber irgendwann im Juni, kurz vor den Ferien, teilte Ellinor mir mit, dass sie ihn aufgetrieben hatte und dass er im August zum Krebsessen kommen würde.
»Du machst Sachen hinter meinem Rücken«, sagte ich. »Gibst du mir darin Recht?«
»Ja, natürlich, mein wilder Stier«, antwortete meine Ehefrau. »Bei dummen Männern muss man das manchmal.«
»Wo wohnt er?«, fragte ich. »Wie hast du ihn gefunden?«
»Kein Problem«, erklärte meine Frau. »Er ist Pfarrer. In der Kirchengemeinde von Änge.«
Ich musste lachen. Also zurück im Norrland, dachte ich.
»Er klang freundlich und aufrichtig froh. Er meinte auch, es wäre an der Zeit, dass ihr euch mal wieder seht. Ihr hättet doch sicher eine Menge zu reden, hat er gesagt.«
»Wirklich?«, zweifelte ich. »Nun ja, mach dir aber nur nicht zu große Hoffnungen.«
»Er kommt im August sowieso hier vorbei«, erzählte meine Frau weiter. »Und wie auch immer, es wird auf jeden Fall interessant sein, ihn zu sehen. Ich habe noch nie jemanden kennen gelernt, der dich schon als Kind kannte.«
»Du hast meinen Vater gekannt«, widersprach ich. »Und
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