Kim Schneyder
Dr. Friedrich von Kesslers Platz gleich neben dem Porsche seiner Tochter, dann steige ich energisch aus.
Um im nächsten Moment schon wieder zu zögern.
Soll ich ihren Porsche jetzt gleich zerkratzen und danach in ihr Büro krachen, oder soll ich zuerst sie zur Schnecke machen und erst hinterher ihre Angeberkarre optisch der meinen angleichen? Abgesehen davon, wie zerkratzt man am besten einen Porsche? Wobei dieser Lack auch wirklich schön glänzt, und eigentlich kann der Wagen ja auch nichts dafür. Und strafbar ist es sicher auch …
Während ich noch an den Einzelheiten meines Rachefeldzugs feile, öffnet sich plötzlich das riesige Eingangsportal der Kanzlei, und heraus kommt eine Frau, bei deren Anblick es mir augenblicklich die Sprache verschlägt. Sie ist blond und ausnehmend schlank, und sie sieht einfach umwerfend aus – anders kann man es einfach nicht sagen –, und einen Gang hat sie, dagegen ist jede noch so zarte Gazelle das reinste Rhinozeros.
Ah ja, und noch etwas hat sie: Den Schlüssel zu dem Porsche, und der Angeberschlitten begrüßt sie auch noch mit unterwürfigem Geblinke, als sie auf ihre Fernbedienung drückt.
Dieses Fabelwesen ist Dr. Nora von Kessler.
Ich versinke förmlich. Diese Frau sieht aus, als hätte Gott sie eigens dafür erschaffen, um alle anderen weiblichen Geschöpfe auf diesem Planeten Demut zu lehren.
Wie, bitteschön, soll ich gegen diese Frau ankommen? Selbst mit Glatze, Fingernägeln wie Pippi Langstrumpf und in den billigsten Klamotten von Aldi: Die würde immer noch der Schwan sein und ich neben ihr das hässliche Entlein.
Und als ob diese niederschmetternde Erkenntnis nicht reichen würde, gibt sie mir dann endgültig den Rest, indem sie – freundlich ist.
Als sie nämlich sieht, dass ich auf dem Platz ihres Vaters parke, lächelt sie mich an wie ein Engel und sagt: »Hier sollten Sie besser nicht stehen bleiben, das ist der Parkplatz meines Vaters, und der ist da ziemlich pingelig. Sie wissen ja, wie solche Typen sind: Anwälte eben!«
Dabei wirft sie anmutig ihr Haar zurück, als stünde sie nicht ihrer schlimmsten Feindin gegenüber, sondern vor der Kamera für einen Werbespot.
Mist, die nimmt mir doch glatt den Wind aus den Segeln.
Welchen Vorwurf kann ich Gerhard da überhaupt noch machen, der braucht doch nur zu sagen: »Was willst du überhaupt von mir? Sieh sie an, und sieh dich an!«, und als einzig angemessene Reaktion darauf müsste ich demütig nicken und mich in Embryonalstellung unter das nächste Sofa verkriechen.
Jetzt bin ich wirklich fix und fertig.
Nora von Kessler dagegen scheint gar nicht daran zu denken, ihre hinterhältige Taktik aufzugeben, denn als sie bemerkt, dass ich zu einer Salzsäule mit herabhängender Unterlippe erstarre, lässt sie die Türschnalle ihres Porsches wieder los und umrundet den Wagen. Der Duft ihres Parfüms, das ich nicht kenne, weil sie so edle Marken vermutlich bei Douglas in Hochsicherheitstresoren vor Kundinnen wie mir wegschließen, ist betörend, und sie lächelt immer noch.
»Kann ich etwas für Sie tun?«, fragt sie besorgt. »Sie scheinen irgendetwas auf dem Herzen zu haben.«
Ich fühle, wie meine Wangen zu glühen beginnen. Selbst eine Traumfrau wie sie kann mir nicht einfach meinen Freund ausspannen, und mit diesem scheinheiligen Deine-Sorgen-sind-meine-Sorgen-Gesicht bringt sie das Fass endgültig zum Überlaufen.
Meine Hände zittern regelrecht vor Wut, als ich Gerhards Handy aus meiner Handtasche angle. Ich klappe es auf, gehe auf Textmitteilungen und halte ihr das Display unter die Nase, als wäre es der Lauf einer abgesägten Schrotflinte.
»Finden Sie das witzig?«, frage ich mit bebender Stimme.
Einen Moment lang wirkt sie irritiert, dann betrachtet sie das Handy, dann wieder mich, und schließlich lächelt sie. Himmelarsch, gibt die das niemals auf?
»Jetzt kapiere ich es langsam«, meint sie voller Unschuld. »Sie sind die Frau von vorhin, stimmt’s? Und das ist dann wohl Gerhards Handy, mit dem Sie mich angerufen haben?«
Ich bin verwirrt. Die Unverschämtheit dieser Frau kennt offenbar keine Grenzen. Sie ist eiskalt, und sie macht auch keinerlei Fluchtreaktionen, keine verstohlenen Blicke nach der Polizei oder sonst jemandem, der ihr in dieser Situation zu Hilfe eilen könnte. Und sie versucht noch nicht einmal, das Ganze abzustreiten.
»Sie sagten vorhin, Ihr Name sei Heidi, nicht wahr?«, redet sie weiter. »Dann müssen Sie Gerhards Freundin sein. Er hat mir schon
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