Kim Schneyder
neidische Blicke kassierte, aber im Nachhinein hat sich das als eine echte Falle entpuppt. Ich habe zwar ein wunderbares Panoramafenster direkt neben mir, durch das ich bequem alles beobachten kann, was sich unter der Wasseroberfläche der Côte d’Azur so abspielt, bloß, mein Nachbar will genau dasselbe, und deswegen drängt er sich jedes Mal, wenn der Reiseführer irgendwohin zeigt, mit seiner ganzen Masse gegen mich, um näher an diese verdammte Scheibe heranzukommen.
Ich verfluche Sonja und Sepia für ihre Idee, mit diesem bescheuerten Dampfer zu fahren, der auch noch den beziehungsvollen Namen Neptun trägt. Zudem haben die beiden das Glück, in einer Reihe mit jungen Mädchen zu sitzen, die anscheinend einer Selbsthilfegruppe für Bulimiekranke angehören, dünn, wie sie sind, umso mehr Platz bleibt jetzt meinen Freundinnen.
Und ich hatte es schon geahnt: Die Fahrt ist wirklich nicht besonders aufregend. Durch die Fenster sehen wir in der Hauptsache düsteres Wasser und dann und wann ein paar Fische, deren Art und Gattung der Reiseleiter übertrieben ausführlich in drei Sprachen beschreibt, und irgendwann kommen wir zum Hafen von Fontvieille, wo wir uns einen elendslangen Vortrag über künstliche Landgewinnung und Hafenerweiterung und dergleichen anhören dürfen. So bin ich heilfroh, als die Neptun nach einer guten Stunde endlich wieder Kurs auf unseren Heimathafen nimmt, und ich nehme mir vor, auch die paar Minuten noch durchzuhalten, ohne den Dicken mit dem Tragegurt seiner Digitalkamera zu erwürgen.
Doch dann, wir sind schätzungsweise noch einen halben Kilometer vom Hafen entfernt, erschüttert plötzlich ein neuerlicher Rammstoß meinen Körper, diesmal ungleich heftiger als zuvor, und das, obwohl der Reiseleiter kein Wort von irgendeiner Attraktion gesagt hat.
Der Dicke stößt ein paar begeisterte Laute aus, gleichzeitig reißt er seine Kamera hoch und drückt auf den Dauerauslöser.
Aber zu meiner Verwunderung hat nicht nur ihn die Begeisterung erfasst, sondern auch durch die übrigen Fahrgäste geht in diesem Moment ein Raunen. Also drehe ich den Kopf in dieselbe Richtung wie sie, und dann sehe ich, was das allgemeine Interesse erweckt: Links von uns liegt eine Jacht im Wasser, dem gewaltigen Rumpf nach ein Riesending, und von der springen in diesem Augenblick mehrere Menschen ins Wasser, Männer und Frauen, bunt gemischt, und allesamt nackt, wie Gott sie geschaffen hat. Insgeheim kann ich die Begeisterung meines Banknachbarn sogar verstehen, denn die sind wirklich hübsch anzusehen, jung, sportlich und gut gebaut, und obwohl sie die Neptun gesehen haben müssen, tummeln sie sich völlig ungeniert im Wasser und treiben neckische Spiele miteinander.
Sepia und Sonja haben natürlich auch alles mitbekommen, und Sepia dreht sich zu mir um.
»Was meinst du, Heidi, das könnten wir auch machen, falls wir mal mit Bodo oder Heinz rausfahren«, ruft sie lachend.
»Ich will mir lieber nicht ausmalen, wie das von hier unten aussieht, wenn Heinz nackt ins Wasser springt«, gebe ich zurück, konzentriere mich dann aber gleich wieder auf die appetitlichen Körper im Wasser, um das Bild von Heinz als nacktem Schwimmer aus meinem Kopf zu vertreiben.
Als die übermütige Badetruppe wieder aus unserem Blickfeld verschwunden ist, lehnt sich der Dicke zurück und zwinkert mir dabei zu, und jetzt bin ich froh über seinen dicken Bauch, weil ich so wenigstens nicht sehen muss, was sich bei ihm auf der unteren Etage abspielt.
Als wir in den Hafen zurückgekehrt sind, ist mein sehnlichster Wunsch eine erfrischende Dusche auf der Scene it, aber da Bodo erwähnt hat, dass er noch zu arbeiten hätte, will ich ihn fürs Erste nicht stören.
»Na, Heidi, schon wieder einen Freund gefunden?«, zieht Sepia mich natürlich gleich auf.
»Du musst reden«, gebe ich grinsend zurück. »Im Vergleich zu deinem Heinz würde der Dicke glatt als Model durchgehen.«
»Er ist nicht mein Heinz«, korrigiert Sepia mich schnell.
»Aber sagtest du nicht dass du bei ihm gepunktet hast, oder so was Ähnliches?«, frage ich überrascht.
»Ja, schon, aber das bedeutet noch lange nicht dass da was läuft zwischen uns«, belehrt sie mich. »Und ganz unter uns: Optisch könnte ich mir allerdings was Besseres vorstellen als ihn.«
»Ja, das dachte ich mir«, nicke ich. »Aber ich nahm an, nach der Einladung heute …«
»Dummerchen, das heißt doch nicht dass ich etwas mit ihm anfangen will«, schüttelt sie den Kopf. »Aber davon
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