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Kind 44

Kind 44

Titel: Kind 44 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Rob Smith
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Familie. Sie möchte hören, was du zu sagen hast.«
    Verstohlen blickte Leo sich um. Etwa zwanzig Augenpaare waren auf ihn gerichtet. Sie wussten schon, was er sagen würde, und das machte ihn in ihren Augen nicht sympathischer. Sie waren wütend, dass ihr Kleiner gestorben war, und so drückten sie ihren Zorn aus.
    Leo würde einfach hinnehmen müssen, dass all ihre Wut sich auf ihn richtete.
    »Ich kann mir nichts Schlimmeres vorstellen als den Verlust eines Kindes. Ich war schon dein Kollege und Freund, als du und deine Frau die Geburt eures Sohnes gefeiert habt. Ich kann mich noch daran erinnern, wie ich euch gratuliert habe. Ich bin selbst erschüttert, jetzt hier stehen und euch mein Beileid aussprechen zu müssen.«
    Na gut, vielleicht ein bisschen steif, aber wenigstens ehrlich gemeint. Die Antwort war Schweigen. Sorgsam legte Leo sich seine nächsten Worte zurecht. »Ich habe den Schmerz, ein Kind zu verlieren, selbst noch nicht erfahren. Ich weiß nicht, wie ich dann reagieren würde.
    Vielleicht brauchte ich auch jemanden, den ich dafür verantwortlich machen könnte, den ich hassen könnte.
    Aber mit klarem Kopf kann ich euch versichern, dass es keinen Zweifel über die Ursache für Arkadis Tod gibt. Ich habe den Bericht bei mir, und wenn ihr wollt, kann ich ihn euch dalassen. Darüber hinaus hat man mich geschickt, damit ich euch alle Fragen beantworte, die ihr vielleicht habt.«
    »Arkadi ist ermordet worden, und wir wollen, dass du uns bei der Untersuchung hilfst. Und wenn du dich nicht selbst darum kümmerst, möchten wir, dass der MGB Druck auf die Staatsanwaltschaft ausübt, dass ein Ermittlungsverfahren eröffnet wird.«
    Leo nickte und bemühte sich weiter um einen versöhnlichen Ton. Die Unterredung hatte den denkbar schlechtesten Anfang genommen. Der Vater war untröstlich, die ganze Situation feindselig. Er verlangte tatsächlich die Eröffnung eines Uglownoje delo, eines Ermittlungsverfahrens, ohne das die Miliz den Fall nicht untersuchen würde. Mit anderen Worten, er verlangte das Unmögliche. Leo starrte die Arbeitskollegen an. Anders als die Unerfahrenen merkten sie, dass das Wort Mord auf jeden hier im Raum ein schlechtes Licht warf.
    »Arkadi ist von einem vorbeifahrenden Zug erfasst worden. Sein Tod war ein Unfall, ein schrecklicher Unfall.«
    »Und warum war er dann nackt? Warum war sein Mund mit irgendeinem Dreck vollgestopft?«
    Leo versuchte abzuschätzen, was er gerade gehört hatte. Der Junge war nackt gewesen? Seit wann das denn? Er schlug den Bericht auf. Der Junge wurde bekleidet aufgefunden.
    Jetzt, wo er den Satz zum zweiten Mal las, kam es ihm schon komisch vor, dass so etwas explizit in einem Bericht erwähnt wurde. Aber da stand es: Der Junge war angezogen gewesen. Leo überflog das Dokument weiter. Da er mitgeschleift wurde, befand sich Erde in seinem Mund.
    Leo klappte den Bericht zu. Der ganze Raum wartete.
    »Euer Junge wurde vollständig bekleidet aufgefunden.
    Es ist wahr, dass er Erde im Mund hatte. Aber er wurde immerhin von einem Zug mitgeschleift, da ist etwas Erde im Mund nichts Ungewöhnliches.«
    Eine alte Frau stand auf. Die Jahre mochten sie gebeugt haben, aber ihre Augen waren noch ganz wach. »Wir haben etwas anderes gehört.«
    »Das ist bedauerlich, aber ihr seid falsch informiert.«
    Die Frau ließ sich nicht beirren. Offensichtlich war sie die treibende Kraft hinter diesen Spekulationen.
    »Der Mann, der die Leiche gefunden hat, Taras Kuprin, war auf der Suche nach Feuerholz. Er wohnt zwei Straßen weiter. Er hat uns erzählt, dass Arkadi nackt war.
    Splitterfasernackt, verstehen Sie? Ein Zusammenprall mit einem Zug zieht einem Jungen nicht die Sachen aus.«
    »Dieser Kuprin hat die Leiche in der Tat gefunden.
    Seine Aussage ist in der Akte. Er behauptet, dass die Leiche auf den Gleisen vollständig bekleidet war.
    Daran lässt er keinen Zweifel. Hier stehen seine Worte schwarz auf weiß.«
    »Und warum hat er uns dann etwas anderes erzählt?«
    »Ich weiß es nicht. Vielleicht war er durcheinander.
    Aber ich habe die Unterschrift des Mannes unter seiner Aussage, und diese Aussage ist Teil der Akte. Ich bezweifle, dass er, wenn man ihn jetzt fragen würde, etwas anderes zu Protokoll geben würde.«
    »Hast du seine Leiche gesehen?«
    Mit der Frage hatte Leo nicht gerechnet. »Ich bin nicht mit der Untersuchung betraut. Das ist nicht meine Aufgabe. Aber selbst wenn ich es wäre, da gibt es nichts zu untersuchen. Es ist ein schrecklicher Unfall. Ich bin

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