Kind 44
jüngste Tochter kam herbeigelaufen, sagte ihm guten Abend und umarmte ihn. Er sah, wie sehr seine Familie sich über seine Rückkehr freute. Sie gingen einfach davon aus, dass er immer wiederkam, wenn er fortging.
Mit einem Auge behielt Nadja die Katze im Auge, die offenbar eifersüchtig auf die Aufmerksamkeit war, die der Vater ihr schenkte. Sie sprang vom Fensterbrett und schloss sich dem Wiedersehen an, indem sie sich am Bein ihres Vaters rieb. Als Andrej sie absetzte, trat Nadja der Katze ganz aus Versehen auf die Pfote, sodass sie aufjaulend davonschoss. Aber bevor Nadja ihren kleinen Triumph genießen konnte, hatte ihr Vater sie schon am Handgelenk gepackt und starrte sie durch seine dicken, viereckigen Brillengläser an. Sein Gesicht zuckte vor Wut.
»Rühr sie ja nicht an.«
Nadja war zum Heulen zumute, aber sie biss sich auf die Lippen. Sie hatte schon mitbekommen, dass Weinen auf ihren Vater keinen Eindruck machte.
Andrej ließ seine Tochter los und richtete sich auf. Er war nervös, und ihm war heiß. Er sah seine Frau an.
Die hatte ihn noch nicht begrüßt, aber sie lächelte ihn an. »Hast du schon gegessen?«
»Ich muss meine Sachen wegräumen. Ich will nichts essen.«
Seine Frau hatte nicht versucht, ihn zu umarmen oder zu küssen. Nicht vor den Kindern. In solchen Sachen war er sehr streng. Sie verstand das. »Hattest du einen erfolgreichen Tag?«
»Sie wollen, dass ich in zwei Tagen wieder losfahre. Ich weiß noch nicht, für wie lange.« Er bekam schon wieder Platzangst. Ohne auf eine Antwort zu warten, ging er zur Tür, die in den Keller führte. Mit hoch aufgerichtetem Schwanz folgte ihm die Katze, die plötzlich hellwach war.
Er schloss die Tür hinter sich zu und ging die Treppe hinunter. Jetzt, wo er allein war, ging es ihm sofort besser. Früher einmal hatte ein älteres Ehepaar hier unten gewohnt, aber dann war die Frau gestorben und der Mann war zu seinem Sohn gezogen. Das Wohnungsamt hatte kein anderes Paar geschickt, um ihren Platz einzunehmen. Es war kein schöner Raum, nur ein ins Flussufer eingegrabenes Kellerloch. Die Wände waren immer feucht. Im Winter war der Raum bitterkalt. Es gab eine Burzuika, einen Holzofen, den die alten Leute acht Monate im Jahr hatten brennen lassen müssen.
Aber trotz der vielen Nachteile hatte der Keller auch einen Vorteil: Er gehörte ihm. In einer Ecke standen zwei Stühle und ein Tisch, daneben ein schmales Bett und eine Truhe, die dem alten Ehepaar gehört hatten.
Manchmal schlief er auch hier unten, wenn die Temperaturen erträglich waren. Andrej zündete eine Gaslaterne an, und es dauerte nicht lange, da kroch auch schon durch das Loch in der Wand für das Ofenrohr eine weitere Katze von draußen herein.
Andrej machte den Koffer auf. Zwischen seinen Unterlagen und den Überresten seines Mittagessens befand sich ein Glasgefäß mit einem Schraubdeckel. Er nahm ihn ab. Drinnen befand sich, eingewickelt in eine alte, blutdurchtränkte Ausgabe der ›Prawda‹, der Magen des Mädchens, das er vor ein paar Stunden getötet hatte.
Er schälte das Papier ab und achtete darauf, dass keine Fetzen mehr an dem Gewebe klebten. Dann legte er den Magen in einen Blechteller, schnitt ihn zuerst in Streifen und dann in Würfel. Als er damit fertig war, heizte er den Ofen an. Als der Ofen endlich heiß genug war, um den Magen zu braten, war Andrej bereits von sechs Katzen umringt. Er briet das Fleisch, bis es rundherum braun war, und gab es wieder zurück in den Blechteller. Dann stand er da, beobachtete, wie die Katzen ihm um die Beine strichen, und erfreute sich an ihrer Gier. Er hielt ihnen das Fressen hin und neckte sie, bis sie miauten. Sie waren vollkommen ausgehungert, und der Geruch des gebratenen Fleisches machte sie schier verrückt.
Nachdem er sie genug geneckt hatte, stellt er ihnen ihr Fressen hin. Die Katzen drängten sich in einem Kreis darum und begannen zu fressen. Sie schnurrten vor Zufriedenheit.
***
Von oben starrte Nadja die Kellertür an und fragte sich, was das für ein Vater war, dem Katzen lieber waren als seine Kinder. Dabei würde er nur zwei Tage da sein.
Nein, auf ihren Vater war sie nicht wütend, dem wollte sie keine Schuld geben. Die Katzen waren schuld. Da kam ihr ein Gedanke. Es konnte doch nicht allzu schwierig sein, eine Katze totzumachen. Bloß, wie stellte man es dann an, dass niemand dahinterkam?
Am selben Tag
Auf der Worowski-Straße stellten sich Leo und Raisa am Ende einer Warteschlange vor einem
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